Buß- und Bettag: Zeit für ein Schuldbekenntnis gegenüber queeren Gläubigen

Metall vor einem Baum
© Kerstin Soederblom
Buß- und Bettag: Ein guter Zeitpunkt für ein Schuldbekenntnis gegenüber queeren Gläubigen
Buß- und Bettag: Zeit für ein Schuldbekenntnis gegenüber queeren Gläubigen
Der Buß- und Bettag ist in evangelischer Tradition ein Tag, an dem im Gebet menschliche Verfehlungen und die Bitte um Vergebung vor Gott gebracht werden. Die Schuld gegenüber queeren Gläubigen sollte endlich auch ausgesprochen werden.

Buße und Gebet zu bestimmten rituellen Anlässen gab es schon in der Antike. Im Mittelalter hatten sie in der christlichen Praxis Hochkonjunktur. Auswüchse wie Ablasshandel und Seelenfreikauf statt Beichte waren weit verbreitet. Auch heutzutage sind Schuldbekenntnisse, Buße und Umkehr aus vielen Gründen wichtig. Ein Tag im Jahr eignet sich dafür in besonderer Weise: Der Buß- und Bettag.

Das hebräische Wort für Buße bedeutet übersetzt eigentlich Umkehr. Gemeint ist eine die ganze Existenz umfassende Umkehr des Menschen hin zu Gott. Im Alten Testament geht sie meist mit symbolischen Handlungen, wie Opferungen, Fasten, Beten, dem Tragen grober Gewänder oder dem Bestreuen des Kopfes mit Asche einher. Das frühe Christentum verstand die Taufe als einmalige Umkehr zu Gott.

Der Buß- und Bettag ist in evangelischer Tradition ein Tag, an dem die Gottesferne von Menschen gegenüber Gott im Gottesdienst benannt und verändertes Verhalten angemahnt wird. Gott wird im Gebet um Vergebung gebeten. Dass diese Gebete von Gott erhört werden, zeigt sich exemplarisch in der biblischen Geschichte vom Propheten Jona in Ninive (Jona 3, 4-10) . Gott lässt sich aufgrund der Umkehr der Menschen von Ninive überzeugen, die Stadt nicht dem Untergang preiszugeben. Auch andere Prophet*innen haben sich in biblischen Geschichten fürsprechend zwischen Gott und die Menschen gestellt. Damit Gottes Zorn beschwichtigt werden konnte, riefen sie die Menschen zu Buße und Umkehr auf. Im Neuen Testament waren Jesu Worte und Taten ein einziges großes Plädoyer für Buße und Umkehr. Er schenkte den Menschen dafür Hoffnung, Heilung und die Kraft zum Neuanfang.

Heutzutage werden am Buß- und Bettag alle Gläubigen ermutigt innezuhalten und ihr Gewissen zu prüfen. Bei schuldhaften Verhalten und Fehltritten wird Gott um Vergebung gebeten. Der Buß- und Bettag ist aber nicht nur ein Tag, um individuell Verantwortung zu übernehmen. Es geht vor allem um strukturelle Schuld. Zum Beispiel um die Schuld und Verantwortung von kirchlichen Würdeträger*innen, die sexualisierte Gewalt gegenüber Gemeindegliedern gedeckt, vertuscht und heruntergespielt haben, die Minderheiten verunglimpft, ausgeschlossen und verdammt haben oder die in anderer Weise gegenüber Gott und den Menschen schuldig geworden sind. 

Daher wird der Buß- und Bettag in evangelischer Tradition auch genutzt, um Schuldbekenntnisse im Gottesdienst zu sprechen und zu veröffentlichen.

Im Hinblick auf queere Gläubige sind solche Schuldbekenntnisse überfällig. Kirchenleitungen und christliche Gemeinden sind immer wieder schuldig geworden, indem sie Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans* und queere Personen verunglimpft, ausgegrenzt oder öffentlich als sündig dargestellt haben. Damit haben sie großes Leid über die Betroffenen gebracht. Bis heute gibt es Pfarrer*innen und andere kirchliche Würdenträger*innen und Mitarbeitende, die mit der Bibel in der Hand queere Menschen herabsetzen, sie zu Gläubigen zweiter Klasse machen oder sie sogar verdammen.

Schuldbekenntnisse und konkrete Verantwortungsübernahme sind dagegen rar. Ein positives Beispiel stellt der Bischof Friedrich Kramer der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) dar. In einem „Gottesdienst on Demand“ der EKM zum „Queer History Month“ hat er folgendes Schuldbekenntnis öffentlich verlesen. Es kann auf Youtube nachgehört werden  

Auch der römisch-katholische Bischof Peter Kohlgraf räumte in einem öffentlichen Gottesdienst zur Beauftragung von Pastoralreferentin Christine Schardt und Pfarrer Mathias Berger zur queersensiblen Pastoral im Bistum Mainz am 9. Oktober 2022 in seiner Predigt „Gott hat alle so gewollt!“ persönliche Verfehlungen und die Schuld der Kirche gegenüber queeren Gläubigen ein.

Er übernahm dafür Verantwortung und entschuldigte sich persönlich bei Betroffenen. Ich war in dem Gottesdienst anwesend. Die Klarheit seiner Worte haben mich überrascht und beeindruckt. Und ich habe selbst gespürt: Die klaren Worte eines Schuldbekenntnisses und eine deutliche Verantwortungsübernahme bewirken etwas bei denen, die dabei sind und zuhören. Deshalb müssen noch viel mehr solcher Schuldbekenntnisse von Verantwortlichen gesprochen werden.

Schuldbekenntnisse können keine Hassverbrechen in den Kirchen und keine spirituelle Gewalt ungeschehen machen. Sie können aber helfen, dass die Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen und Verletzungen der Opfer ernst genommen und die Stimmen der Opfer endlich gehört werden. Es ist ein wichtiger Schritt dahin, solche schmerzhaften Erfahrungen bearbeiten zu können. Dafür sind allerdings klare Worte notwendig: Schuldeingeständnis, Bekenntnis zur Verantwortungsübernahme, Buße, Gebet, veränderte Verhaltensweisen (Umkehr) und ggf. Entschädigungen bei justiziablen Übergriffen und Vergehen.

Individuell und kollektiv versuchen die Liturgien des Buß- und Bettages dabei zu helfen Worte für solche Schuldbekenntnisse zu finden.

Ich hoffe, dass der Buß- und Bettag immer mehr Kirchen, Gemeinden und christliche Gemeinschaften daran erinnert, dass sie ihre Schuld gegenüber queeren Gläubigen bekennen müssen. Solche Schuldbekenntnisse sind unverzichtbarer Bestandteil dafür, dass heilende Veränderungen gelingen können. 

Dafür fehlen aber sowohl auf EKD-Ebene und der Ebene der Landeskirchen als auch auf Bistumsebene klare und öffentliche Schuldbekenntnisse gegenüber queeren Gläubigen. Bisher stellen sie die Ausnahme dar und nicht die Regel. Das muss sich ändern. Sonst werden strukturell notwendige Veränderungen nicht gelingen und queersensible Seelsorge wird im Rahmen der Institution nicht glaubwürdig sein. 

 

Zum Weiterlesen:

Das Schuldbekenntnis von Bischof Friedrich Kramer von der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland im Wortlaut (abgedruckt auf queer.de am 1.2.22):

"Ich bekenne für unsere Kirche, wir haben uns schuldig gemacht, indem wir die Vielfalt der göttlichen Schöpfung nicht wahrgenommen und wertgeschätzt haben, sondern sie abgewertet haben.
Wir bekennen, dass wir gleichgeschlechtlich Liebende ausgegrenzt und diskriminiert haben und dies auch heute noch an vielen kirchlichen Orten tun.
Wir haben Menschen abgewiesen und ins Abseits gedrängt, ihr Leben psychisch und körperlich zerstört.
Wir haben in der Geschichte zu Leid und Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und ihrer geschlechtlichen Identität beigetragen und zu Verletzungen und Ermordungen geschwiegen.
Wir sind an Menschen und an Gott schuldig geworden, weil wir uns nicht vom Geist Gottes und der Liebe haben leiten lassen.
Wir bitten um Vergebung und wollen einen stetigen Wandel anstoßen, umkehren und neu beginnen.
Wir haben gelernt und verändert. Aber nicht genug. Nicht genug.
Wir sind Liebe, Anerkennung und Respekt schuldig geblieben und dies tut uns leid. Es tut mir leid.
Für alles, was ich gesagt und getan habe, was verletzend war und zu diesem Klima beigetragen hat, bitte ich um Vergebung.
Lasst es uns besser machen.
Dazu helfe uns Gott.
Amen"

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