Orte des Bösen werden verwandelt

Karfreitagsprozession in Lohr
epd/Thomas Lohnes
Die Karfreitagsprozession in Lohr am Main in Unterfranken ist die älteste noch gepflegte in Deutschland. Dreizehn lebensgroße Figuren, die den Leidensweg Christi darstellen, werden durch die Stadt getragen.
Geistliche zu Karfreitag
Orte des Bösen werden verwandelt
Tausende Christinnen und Christen haben am Karfreitag in Gottesdiensten an den Kreuztod von Jesus Christus erinnert. Mehrere leitende Geistliche erinnerten in ihren Predigten an die Hoffnungsbotschaft in der "Mordgeschichte" von Golgatha. evangelisch.de hat für sie die Predigten der leitenden Kirchenvertreter zusammengefasst.

Unter dem Motto "Angst in der Welt - Haltung üben!" hat am Karfreitag in Lübeck der ökumenische Kreuzweg stattgefunden. An fünf Stationen haben kurze Ansprachen an das Leiden und Sterben von Jesus erinnert. Kirsten Fehrs, Bischöfin im evangelischen Nordkirchensprengel Hamburg und Lübeck, hat die Figuren Maria und Pontius Pilatus gegenübergestellt. "Hier die Frau, die Leben schenkt und dort der Mächtige, der mordet." Sie symbolisierten die tiefe Spannung zwischen Liebe und Tyrannei, damals wie heute, betonte Fehrs.

Die Nachfolge Jesu bedeute, Haltung zu zeigen, sagt die Bischöfin vor rund 400 Teilnehmenden. Jesu scheinbare Schwäche sei seine wahre Stärke. Sein Leiden unter Pilatus diene als Mahnmal dafür, wie bedroht Menschenrechte und Demokratie seien. Der katholische Hamburger Erzbischof Stefan Heße sagte, dass er zahlreiche Lebenskreuze sehe, die die Menschen derzeit zu tragen hätten. Jesus habe ein großes Kreuz getragen. "Eine große Dunkelheit, vor der er nicht geflohen ist." Jesus habe keinen Ausweg gesucht, er habe sich nicht gedrückt. "Das gibt mir Hoffnung", sagte Heße.

Der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Ernst-Wilhelm Gohl, beschrieb die Kreuzigungsstätte Golgatha als "exemplarischen Ort des Bösen". "Das Böse wird sichtbarer als sonst und es wird öffentlich", sagte er laut Manuskript in seiner Karfreitagspredigt in der Stuttgarter Stiftskirche. Die Lehre Golgathas sei: "Menschen sind imstande, anderen Menschen all das anzutun." Andere herabzuwürdigen und zu verspotten, sie ihrer Freiheit zu berauben, zu verletzen und zu töten. "In diesem Sinne ist Golgatha eine Sehschule. Karfreitag mutet uns zu, diesen Ort aufzusuchen und hinzuschauen."

Bischöfin Springhart: "Stille an Karfreitag kaum auszuhalten."

"Es gibt Stille, die kaum auszuhalten ist", schreibt die badische evangelische Landesbischöfin Heike Springhart zu Karfreitag. "Das ist die Stille, die einkehrt, wenn ein Mensch gestorben und das Leben unwiderruflich zu Ende ist." Als aktuelle Beispiele nennt sie "die Stille, die über den Trümmern des zerbombten Krankenhauses in Gaza in den Rauchschwaden sitzt. Die Stille, die einen ergreift beim Gang über das Gelände des Nova-Festivals und beim Blick in die Gesichter der grausam Ermordeten auf den Fotos. Die Stille in den Seelen von Menschen, die durch sexualisierte Gewalt traumatisiert und zum Schweigen gebracht sind."

Kirchenpräsidentin Tietz: "Kreuz als Ort der Liebe begreifen."

Die Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Christiane Tietz, erinnert zu Karfreitag daran, dass der Tod von Jesus Christus als Akt der Liebe und der Nähe Gottes verstanden werden kann – und dass im Verstehen seines Todes der Grund liegt, weshalb es die Weltreligion des Christentums überhaupt gibt. 

Mit einer Prozession haben die Kirchen am Karfreitag in Berlin an das Leiden und den Tod Jesu Christi am Kreuz erinnert. Daran beteiligten sich auch der evangelische Berliner Bischof Christian Stäblein, der katholische Erzbischof Heiner Koch und der griechisch-orthodoxe Bischof Emmanuel von Christoupolis. An der Spitze der Prozession von rund 250 Menschen wurde ein drei Meter hohes und rund 80 Kilogramm schweres Kreuz getragen. Der Gang führte von der evangelischen St. Marienkirche am Alexanderplatz zur katholischen St. Hedwigs-Kathedrale am Bebelplatz.

Landesbischof Kopp: "Netanjahu will konsequent alles Leben in Gaza vertreiben und richtet unendliches Leid an."

Der Karfreitag ist laut dem bayerischen evangelischen Landesbischof Christian Kopp ein Tag der Extreme. "Aus einer Mordgeschichte wird eine Erzählung der Liebe und Hoffnung", sagte Kopp in seiner Karfreitagspredigt in der Münchner Matthäuskirche. Kopp erinnerte auch an die Menschen im Gaza-Krieg: "Die Geiseln in den Tunneln der Hamas, voller Angst, unsicher, verzweifelt." Er kritisierte in dem Zusammenhang auch die israelische Regierung, die unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu "konsequent alles Leben in Gaza vertreiben will" und damit unendliches Leid anrichte.

Auf die Ambivalenz der Johannespassion von Johann Sebastian Bach hat Regionalbischof Thomas Prieto Peral am Karfreitag in der Himmelfahrtskirche Pasing hingewiesen. Juden würden darin - weil das Johannesevangelium in einer Zeit scharfer Konflikte zwischen den ersten Christen und der jüdischen Gemeinde entstanden sei - pauschal als blutrünstige Menge beschrieben, die Schuld sei an Jesu Tod. "Unsere christliche Tradition hat aus dem Karfreitagsevangelium leider oft eine Waffe gegen das jüdische Volk gemacht", bedauerte der Theologe in dem Kantatengottesdienst zum Sterbetag Jesu. 

Ulmer Prälatin Wulz: "Karfreitag ist Botschaft gegen Resignation."

Für die evangelische Ulmer Prälatin Gabriele Wulz zeigt sich am Karfreitag, was Menschen ihren Mitmenschen antun können, "freiwillig, begeistert, selbstgerecht". Dennoch nannte sie beim Karfreitagsgottesdienst im Ulmer Münster Karfreitag eine "Botschaft gegen Resignation". Weil Jesus selbst durch sein Sterben "einen Weg ins Leben" baue, biete dieser Tag den Menschen die Chance, auszusteigen aus "aus den Spiralen des Hasses und der Gewalt".

Der Karfreitag erinnert laut der Nürnberger Regionalbischöfin Elisabeth Hann von Weyhern an die Zusammengehörigkeit aller Menschen. Die evangelische Theologin forderte in ihrer Karfreitagspredigt in der Nürnberger Lorenzkirche die Menschen auf, "unseren Muskel der Gemeinschaft" zu trainieren und die "Herzen füreinander zu öffnen". Das könne "ein neues Miteinander stärken" und den "Kräften des Unfriedens und der Entzweiung" die Stirn bieten.

Bischof Georg Bätzing: "Wir haben die Wahrheit nicht gepachtet."

"Wir haben die Wahrheit nicht gepachtet, nicht angesichts politischer Einschätzungen, religiöser Überzeugungen oder weltanschaulicher Positionen", sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz in Limburg, Bischof Georg Bätzing. Er warnte zugleich vor Selbstzufriedenheit. Angesichts der aktuellen Krisen und Konflikte sieht Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck die Christen gefordert, Gewaltspiralen zu durchbrechen und für Menschenwürde, Versöhnung und Frieden einzutreten. "Es geht darum, Wege aus dem Krieg zu finden - hin zu einem gerechten Frieden", so der der katholische Militärbischof.

Christinnen und Christen erinnern heute (Freitag) an Jesu Leiden und Sterben am Kreuz. Der Karfreitag ist einer der höchsten Feiertage des Christentums. Das Wort leitet sich vom althochdeutschen "Kara" für Klage und Trauer ab. In den meisten Kirchengemeinden schweigen die Glocken zu den Gottesdiensten. Manchmal ist der Altar schwarz verhängt, und die Orgel bleibt stumm. Karfreitag gehört zu den stillen Feiertagen.

Öffentliche Veranstaltungen sowie Märkte und gewerbliche Ausstellungen sind daher verboten. Die Christenheit sieht im Kreuz Jesu nicht nur einen Grund zur Trauer, sondern auch ein Zeichen des Heils und der Zuwendung Gottes zu den Ärmsten und Schwächsten: Gott selbst habe in Jesus Christus Schmerzen, Leid und Tod erfahren. Karfreitag dürfe zudem nicht von Ostern und der Auferstehung getrennt werden.