Mehr als nur die gleichgeschlechtliche Ehe

Hochzeit eines gleichgeschlechtlichen Paares - nachgestellt mit Playmobilfiguren
Foto: Rainer Hörmann
Wird die gleichgeschlechtliche Ehe durch Verantwortungsgemeinschaften herausgefordert?
Verantwortungsgemeinschaft Gleichgeschlechtliche Ehe Queeres Leben
Mehr als nur die gleichgeschlechtliche Ehe
Verantwortungsgemeinschaften sollen künftig gesetzlich geregelt und abgesichert werden. Eine Chance, auch in der LGBT-Community wieder über Formen des Zusammenlebens jenseits der Ehe nachzudenken.

Ausgerechnet zum Weihnachtsfest, dem Familien-Fest schlechthin in Deutschland, wartete der neue Justizminister Marco Buschmann mit der Ankündigung auf, neben der Ehe eine Verantwortungsgemeinschaft gesetzlich verankern zu wollen. Solange es nur im Wahlkampfprogramm seiner Partei und wenig später auch im Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung gestanden hatte, interessierte das keinen. Jetzt aber machte die Botschaft – ob es eine frohe ist, wird sich zeigen – medial die Runde (auch auf evangelisch.de) und provozierte die üblichen Abwehrreflexe: Von einer "Entkernung des verfassungsrechtlich geschützten Instituts der Ehe" war von Seiten der CSU zu hören. Etwas weiter rechts sah man – wie meist – das Ende des Abendlandes nahen.

Worum geht es? Zwei oder mehr volljährigen Personen, "die sich persönlich nahestehen, aber nicht miteinander verheiratet, verpartnert oder in gerader Linie verwandt sind", soll es ermöglicht werden, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen. Als Beispiele nannte Marco Buschmann zwei alte Menschen, die sich in einer Wohngemeinschaft ein selbstständiges Leben sichern wollen, oder zwei Alleinerziehende, die sich in der Kindererziehung gegenseitig unterstützen. Es gehe um Fragen des Mietrechts oder um Auskunftsrechte beim Arzt. Konkreter wurde es nicht, der Justizminister betonte aber, diese neue Form der Verrechtlichung von Lebensgemeinschaften nehme niemandem etwas weg, mache aber vielen das Leben "etwas einfacher".

Der Vorschlag ebenso wie die anhebende Debatte erinnert in vielerlei Hinsicht an die Anfänge der Debatte um eine "Homo-Ehe" Ende der neunziger, Anfang der zweitausender Jahre. Damals gab es in der Community einen sehr heftigen Streit um Sinn oder Unsinn einer Ehe für Lesben und Schwule. Eine keineswegs kleine Fraktion sah in der Forderung nach einer solchen "Zwangsinstitution" einen emanzipatorischen Rückschritt und den Siegeszug eines neuen Konservatismus, für den exemplarisch der Grünen-Politiker Volker Beck stand. Die Anbiederung an gegebene Machtverhältnisse, so schrieb es die Verlegerin Ilona Bubeck in dem 2000 von ihr herausgegebenen Band Unser Stück vom Kuchen? Zehn Positionen gegen die Homo-Ehe, werde für die meisten Lesben und Schwulen keine positiven Veränderungen bringen. "Im Gegenteil: Die Homo-Ehe wirkt kontraproduktiv gegen die Forderungen rechtlicher Regelungen und Absicherungen aller Lebensweisen."

Zwanzig Jahre später nun die Ankündigung eines FDP-Justizministers, "Verantwortungsgemeinschaften" eine rechtliche Basis zu geben. In diesem Zusammenhang wird nun wie damals nach Frankreich und auf den dort 1999 eingeführten PACS geschaut. Der Pacte civil de solidarité sollte zunächst das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Paare regeln. "2013 wurde in Frankreich die Homo-Ehe eingeführt; mittlerweile werden PACS-Verträge zu 95 Prozent von Partnern unterschiedlichen Geschlechts abgeschlossen", resümiert ein Beitrag des Deutschlandfunks von 2019. Und obwohl er recht unkompliziert geschlossen und auch wieder gelöst werden kann, erweist er sich in der Realität als sehr stabiles Konstrukt: "Während die Zahl der Eheschließungen leicht abnimmt, steigen die des PACS seit einigen Jahren kontinuierlich. Im Jahr 1999 waren es nur 6 151. Im Jahr 2017 wurden schon 193 950 PACS registriert. In manchen Städten Frankreichs, wie zum Beispiel Toulouse, übersteigt die Anzahl der PACS sogar schon die der Eheschließungen", so Hanna Schultheiß in einem ARTE-Bericht zum zwanzigjährigen Bestehen des PACS. Zahlen, die jene berücksichtigen sollten, die meinen, allein die Ehe sei eine Garantie für Dauer.

Im genannten Beitrag wird auch ein großer Nachteil der Regelungen formuliert. Hinterbliebene aus PACS-Verträgen erhalten trotz der erklärten gegenseitigen Verantwortung im Leben keinerlei Ansprüche auf Renten-/Pensionszahlungen. Und sie wird es höchstwahrscheinlich auch in einer deutschen Variante der Verantwortungsgemeinschaft nicht geben.

Es wäre sehr zu begrüßen, wenn das Thema der Verantwortungsgemeinschaft sowohl in der Kirche allgemein wie in der LGBTQ*-Community im Besonderen aufgegriffen und debattiert würde. In der evangelischen Kirche, um – nicht nur bezüglich homosexueller Lebensweisen – einen weiteren Schritt in Richtung Anerkennung gesellschaftlicher Realitäten zu wagen. In der Community, um endlich das selbstauferlegte, lähmende Dogma, mit der gleichgeschlechtlichen Ehe sei das höchste Glück erreicht, zu überwinden. Ende 2020 wird die Zahl der gleichgeschlechtlichen Eheschließungen, inklusive der Umwandlungen von vor 2017 geschlossenen Eingetragenen Lebenspartnerschaften in Ehen, auf 57.000 geschätzt. (Quelle: LSVD) Das mag nach Erfolg klingen, aber die Zahl existiert vor dem Hintergrund, dass es bislang keine Alternativen gibt. Real ist das Geflecht der Beziehungs- und Lebensgemeinschaften der Community mit "Wahlverwandtschaften" wohl immer noch am treffendsten umschrieben. Die Ankündigung des Justizministers, nicht-eheliche Lebensgemeinschaften rechtlich abzusichern, könnte ein Anlass sein, sich erneut und mit gewachsenem Selbstbewusstsein der Frage zuzuwenden, wie wir miteinander leben und wie wir füreinander Verantwortung übernehmen wollen.

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