Der Kriegsbogen

Debatte um den Regenbogen
Der Kriegsbogen
Der Regenbogen erhitzt derzeit die Gemüter. Wer darf ihn wann für was verwenden? Gedanken zu einem der schönsten Symbole des Alten Testaments angesichts unschöner politischer Entwicklungen.

Und? Haben Sie sich nach den vielen Unwettern der letzten Zeit und wenn sich danach ein Regenbogen über den Himmel wölbte, auch aufs Feld gestellt und nach oben geschrien, dass es jetzt aber langsam mal gut ist mit dem Regenbogenquatsch?

Vermutlich nicht. Der Regenbogen gilt immer noch den meisten, ganz unabhängig von religiösem Glauben oder politischer Haltung, als schönes Zeichen für Friedfertigkeit und Versöhnung. Gleichwohl ist derzeit ein heftiger Streit sowohl im Namen des Regenbogens als auch um den Regenbogen entbrannt. Er wäre wohl weniger heftiger ausgefallen, hätte er nicht den Tanz ums Goldene Kalb Fußball tangiert. Und hätte nicht schon vor dem Streit um die Beleuchtung des Münchner Stadions beim Spiel gegen Ungarn Manuel Neuer eine Binde in Regenbogenfarben getragen. Manche wollten dann darin den Grund sehen, dass die deutsche Fußball-Elf im Achtelfinale gegen England verlor. Vielleicht aber gewannen die Engländer, weil und trotzdem deren Kapitän Harry Kane ebenfalls eine Regenbogenarmbinde trug?

Nun entzündete sich der eigentliche Streit aber um ein in Ungarn verabschiedetes Gesetz, das – angeblich zum "Schutz" von Kindern und Jugendlichen – das Thema Homo-, Bi- und Transsexualität gegenüber Minderjährigen verbietet. Die ungarische Regierung unter Viktor Orbán übernimmt damit quasi das russische Vorgehen gegen "queere Propaganda"; dagegen gab es starken, wenn auch zunächst vergeblichen Protest in Ungarn selbst. Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel warf Orbán vor, das Gesetz vermische auf unzulässige Weise Homosexualität mit Pädophilie und Pornografie. "Wenn irgendjemand glaubt, dass jemand wegen Werbung, eines Buches oder Films schwul geworden ist, versteht er das Leben nicht", zitiert das Magazin Die Zeit den Premier. Andere forderten, Ungarn solle die EU verlassen. Verfassungsrechtler*innen des Europarats üben Kritik, wie queer.de berichtet.

Die Debatte im Umfeld der Fußball-EM mag dem Taktiker Orbán durchaus gelegen kommen – denn es geht ihm letztlich nicht um den Schutz von irgendwem, sondern um seinen Machterhalt und um eiskaltes Kalkül in einer europäischen Dimension. Ein erhellender Beitrag in der taz ist passenderweise mit "Orbáns Spiel mit den Farben" betitelt. Schwule, Lesben, Trans dienen ihm dabei als Sündenböcke und innenpolitisch als Mittel, die Opposition gegen ihn zu spalten. Zugleich muss der Popanz von der europäischen "Schwulenlobby" als Ausrede herhalten, um Ungarn als national-christliches Bollwerk gegen eine übermächtige EU zu inszenieren. Tatsächlich geht es um eine grundlegende politische Haltung: autoritäre (‚illiberale‘) Regierungsform versus Bund demokratischer Staaten.

In diesem Zusammenhang sei auf einen Beitrag im Deutschlandfunk von 2016 verwiesen, der Orbáns Bekenntnis zum Calvinismus in den Blick nimmt, "als eine Distanzierung vom katholisch-lutherischen Mainstream, der ja die EU von der Gründungsphase an geprägt hat. Das heißt auch eine gewisse Distanzierung von Westeuropa und damit vom Westen".

Hierzulande wendet sich derweil AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen im Bayrischen Fernsehen (im Video etwa 18.-20.Min.) gegen die Instrumentalisierung der Regenbogenfahne "und für was die Regenbogenfahne so steht und was da so getrieben wird". Da würden Lobby-Interessen durchgesetzt, um "öffentliche Mittel rauszuschlagen".

Es scheint mir offensichtlich: Der Regenbogen – sei es als Fahne, als Armbinde, als Lichtsymbolik – dient inzwischen als Schauplatz für Kämpfe ganz anderer Art. Entsprechend die Sorge von Evelyne Paradis, Geschäftsführerin von ILGA-Europe, einer Interessensvertretung für LGTI, in einem Beitrag im jpg-journal der Friedrich-Ebert-Stiftung. "Es besteht die reale Gefahr, dass die Regenbogenflagge am Ende mehr polarisiert als zusammenführt. So benutzten viele Medien den Regenbogen als Symbol einer scheinbaren Ost-West-Spaltung in Europa beim Thema LGBTI-Rechte." Es dürfe nicht zugelassen werden, dass mithilfe der Regenbogenfahne vom Wesentlichen abgelenkt werde. Gerade EU-Politiker müssten symbolischen Akten der Solidarität konkrete Taten folgen lassen. Das könnte man - dies sei von mir hinzugefügt - auch manchen Firmen sagen, die ihre Produkte gern mit dem Regenbogen und Solidarität bewerben, aber keine wirkliche Unterstützung von schwul-lesbischen Projekten leisten und im Zweifel in Ländern wie Russland, China oder Belarus den Regenbogen flugs aus der Werbung verschwinden lassen.

Wem also gehört die Regenbogenflagge? Gibt es ein Zuviel an Regenbogen? Wer bestimmt, für was der Regenbogen zu gelten hat? Und ist der Regenbogen letztlich Schuld am Auseinanderbrechen der EU?

Im Zuge der Recherche für diesen Beitrag bin ich auf die Bibel-Lektüre von Margot Käsmann auf dem Ökumenischen Kirchentag 2010 in München gestoßen, die Genesis 9, 8-17, zum Thema hat. Bevor ich eine längere Stelle über das Symbol zitiere, möchte ich auf einen Aspekt eingehen, der mir im Zusammenhang mit dem oben skizzierten Streit um EU, Nationalstaaten, "Wir" gegen "die", Rechte von LGBTIQ wie anderer Minderheiten interessant erschien.

Käsmann zitiert den Theologen Gerhard von Rad mit der Bemerkung:

"Das hebr. Wort, das wir mit Regenbogen übersetzen, bedeutet sonst im Alten Testament den Kriegsbogen. Damit ist eine Vorstellung von altertümlicher Schönheit gegeben: Gott zeigt der Welt, daß er seinen Bogen beiseite gestellt hat."

Schaut man in der Online-Enzyklopädie Wikipedia nach, so liest man, der Regenbogen nähme als Zeichen des Friedens zwischen Mensch und Gott "eine altorientalische Tradition auf, nach der das Phänomen als abgesenkter, also nicht schussbereiter Bogen Gottes interpretiert wurde".

Der Regenbogen taugt also nicht als Kampfessymbol, er ist gerade das Gegenteil und steht vielmehr für ein Miteinander, für – in Käsmanns Worten – "ein Dach, unter dem es sich leben lässt". Aber auch wenn der Regenbogen kein Symbol des Kampfes ist, kann wohl, wie wir es derzeit erleben, um das Symbol gekämpft werden. (Und natürlich wird auch innerhalb der Community "gekämpft", nämlich wenn es darum geht, welche Farben in der Flagge vertreten sein sollen.) Die dadurch entstehende Paradoxie sollte nicht nur ausgehalten, sondern produktiv genutzt werden. Immer mit dem Verweis, dass nicht der Regenbogen das Problem ist, sondern aktuelle Differenzen hinsichtlich von Menschenrechten und friedlichen Formen des Zusammenlebens. Die müssen klar benannt werden und jede Form des "Stellvertreterkriegs" und der Vereinfachung abgelehnt werden.

Wer aber derzeit ob der politischen Debatten ein klein wenig am Regenbogen zweifelt, dem sei zum Schluss diese kleine Hymne aus der Bibelarbeit von Margot Käsmann empfohlen:

"Was ist das für ein kraftvolles Symbol ist dieser Bogen! Bis heute steht er für die Vielfalt und die Kreativität des Lebens etwa in der Friedensbewegung oder auch in dem Engagement für die Gleichberechtigung von Menschen, die homosexuell lieben. Wir können sagen, der Regenbogen symbolisiert in seinen Farben die Buntheit des Lebens, das Überraschende, die Mischungen, die möglich sind gegen alle Konformität und alle Enge und allen Zwang. Gegen alle vermeintliche Eindeutigkeit von schön oder hässlich, warm oder kalt, trocken oder nass leuchten im Dazwischen alle Farben der Lebenspalette, die Gott geschaffen hat. Lasst Vielfalt zu, ruft diese Farbenpracht. Nicht so viel Konformität, nicht so viel Angst, sondern Lust und Liebe zum Leben!"

So gesehen, kann es eigentlich gar nicht genug Regenbögen geben!

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