Von "Siegertypen" und "Verlierern"

Von "Siegertypen" und "Verlierern"
Foto: Dieter Schütz, pixelio.de
Siegertypen stehen im Rampenlicht - bei Olympia wie in den queeren Communities. Aber wie gehen wir mit denen um, die nicht so leicht mitkommen?

Höher, schneller, weiter - die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro sind zu Ende. Die Erfolgreichen stehen im Rampenlicht: Usain Bolt läuft allen davon - klar, kennen wir, Michael Phelps holt sich gleich sechs Medaillen - auch fast keine Überraschung. Für die sorgt aus deutscher Sicht dann eher Thomas Röhler mit seinem Speerwurf über mehr als 90 Meter. Die Viertplatzierten? - Interessieren schon niemanden mehr...

Eigentlich, so muss ich gestehen, habe ich von Olympia wenig mitbekommen. Zum Teil, weil mir diese Spiele immer gleichgültiger werden aufgrund der Korruptions- und Dopingskandale, die sie begleiten. Vor allem aber, weil ich in der zweiten Woche mit Freunden auf einer Bergtour in den Alpen unterwegs war. Auf Berghütten über 2.000 Meter gibt es in der Regel kein Internet und auch keinen Fernseher.

Wahrscheinlich ist eine Bergtour ohnehin ein Kontrastprogramm zu Olympia:
Höher hinaus - das geht schon: mit guter Planung und der richtigen Ausrüstung, aber auch nur dann, wenn das Wetter mitspielt und einem auf dem Weg zum Gipfel kein Unwetter droht.
Schneller zu sein, ist am Berg eigentlich kein erstrebenswertes Ziel: Sicherheit geht vor. Wer vor dem Gewitter "schnell noch" auf einen Gipfel hinauf rennen will, hat eigentlich schon verloren.
Weiter wandern kann man am Berg eigentlich immer. Doch die eigentliche Erfahrung der Weite liegt nicht in meiner persönlichen Streckenleistung, sondern in der Weite, die sich mir auf den Höhen der Berge erschließt. Der weite Blick bis zum Horizont lässt mich immer wieder staunen und ruhig werden zugleich. Bei einer Bergtour gewinnt, wer sich auf diese Weite der Berge einlässt - und sich selbst zurück nimmt.

Noch einen Unterschied gibt es zwischen einer Bergtour und Olympia: Am Berg achtet jede*r auf jede*n. Nicht nur im eigenen Team, sondern bei allen, die einem auf dem Weg begegnen. Für die eigene Gruppe gilt: der oder die Schwächste bestimmt das Tempo und die nötigen Pausen. Auch die Schwierigkeit einer Tour muss ich nach dem Schwächsten meiner Gruppenmitglieder wählen. Auf dem Weg aber achtet man auf die Menschen, die einem begegnen, man tauscht sich aus, gibt sich Tipps, warnt vor schwierigen Stellen. Ziel ist nicht, vor den anderen am Gipfel zu sein, Ziel ist, dass alle sicher dort ankommen. Am Gipfel gibt es keinen ersten oder vierten Platz...

Warum schreibe ich solche Gedanken in einem queeren Blog? Wenn ich auf unsere queeren Communities schaue, dann frage ich mich manchmal, ob wir uns da verhalten wie bei Olympischen Spielen oder wie auf einer Bergtour: "Höher, schneller, weiter" sind zwar kaum die Ziele, die eine queere Communitiy prägen, doch wenn ich diese drei Begriffe durch "schöner, erfolgreicher, wohlhabender" ersetze, dann fallen mir dazu Verhaltensmuster und Gespräche ein, die ich immer wieder in meinem schwulen Umfeld erlebe. Wer schön ist, erfolgreich und wohlhabend, der steht auch bei uns im Rampenlicht. Natürlich merke ich, dass auch ich selbst von diesen Zielen bestimmt bin...
Und dann chatte ich mit einem Freund, den ich schon länger nicht mehr beim Weggehen am Wochenende gesehen habe. Ich frage, ob alles in Ordnung ist bei ihm, sage, dass ich mich wundere, ihn so lange nicht getroffen zu haben. "Ja, ja, schon alles so weit in Ordnung", schreibt er zurück, "aber ich bin doch seit einigen Monaten arbeitslos - das Weggehen wird mir langsam zu teuer." Der Freund hat studiert, hat lange in seinem Beruf gearbeitet - ich hätte nie gedacht, dass er jemand sein könnte, der einmal überlegen muss, sich aus seinem schwulen sozialen Umfeld zurück zu ziehen, weil es ihm zu teuer wird... Und ich merke, wie schnell es gehen kann, Menschen wie ihn aus dem Blick zu verlieren.

Wer nicht so schön ist, nicht so erfolgreich, nicht so wohlhabend ist, der oder die bleibt schnell zurück in unseren queeren Communities. Ich kenne wenige Orte, die ein anderes Signal setzen, Orte, an denen Menschen darauf achten, dass alle mitkommen, alle am sozialen Leben beteiligt sein können. Das Café Regenbogen der Münchner Aids-Hilfe ist so ein Ort: Auf der Speisekarte finden sich mittags wie abends stets zwei oder drei Gerichte, die mit Spendengeldern subventioniert werden und daher auch für Menschen mit geringem Einkommen erschwinglich sind. Bestellen kann sie jede*r, so dass niemand seine Einkommensverhältnisse offen legen muss - mit einem Hinweis auf der Speisekarte bittet die MüAH Besserverdienende nur darum, selber mit einer Spende dazu beizutragen, dass dieses Modell weiter funktioniert.
Ich wünsche mir, dass es in unseren Communities viel mehr Orte gibt, an denen wir auf diese oder ähnliche Weise darauf achten, dass alle mitkommen können!

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