Sehen und gesehen werden

Sehen und gesehen werden
Der christliche Mitbewerber lädt ab Mittwoch nach Leipzig. Erstmals wird es auch auf einem Katholikentag ein Zentrum Regenbogen geben. Das passt gut zum Motto des Treffens.

Das bekannte „Ecce Homo“ aus dem Johannesevangelium ist das Motto des diesjährigen Katholikentages: „Seht, da ist der Mensch“ (Joh. 19,5). In den Erläuterungen zum Leitwort heißt es: „Die Bibel überliefert, dass es ein Richter war, der voll Spott diese Worte an sein Publikum richtete. Dabei zeigte er auf einen Angeklagten, den er auf grausamste Weise hat demütigen und foltern lassen, den er zutiefst in seiner Würde verletzen wollte.“

Es geht in dieser Szene um den Vorwurf der Blasphemie, darum, dass sich da jemand anmaßt, sich als Sohn Gottes zu bezeichnen. Es geht um die Fallhöhe zwischen hohem Anspruch und elender Realität und es geht um die Verkennung der Einzigartigkeit, die Jesus erlangt, eben weil er genau diese Spanne durchläuft und letztlich transzendiert.

Über Jahrhunderte hat das Christentum sich gern der Dramatik dieser Szene bedient - und sich nicht nur in die Nachfolge Christi gestellt, sondern zugleich auch gern die Rolle des Richters gespielt. Zur Geschichte von Schwulen, Lesben wie Transgender gehört die Verhöhnung und die Verletzung der Würde durch die Kirchen. Die Freiheiten, die vielen inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden sind, wurden erstritten, erkämpft, durch konkreten Widerstand, durch Geduld, durch Überzeugung, durch Gespräch. Durch die Tabuisierung konnte die Verfolgung jahrhundertelang im Dunkeln stattfinden. Noch in den fünfziger und sechziger Jahren der Bundesrepublik wurden Homosexuelle kriminalisiert und zum Schweigen verdammt. Auf dem Weg zur Überwindung dieses Zustandes war der wichtigste Schritt der in die Öffentlichkeit. Entscheidend war der Wille, sich nie wieder in den Schrank des Verheimlichens sperren zu lassen, sich von nun an zu zeigen und künftig sichtbar zu bleiben.

„Der Mensch muss stets im Mittelpunkt stehen, wenn wir nach Antworten auf die zahlreichen Herausforderungen unserer Gegenwart suchen. Der Mensch, sein Wert und seine Würde müssen der Maßstab unseres Handelns und Gestaltens sein.“ Und weiter heißt es auf der Internetseite des Katholikentages, das Motto verstehe sich als Einladung, „auf den Menschen zu sehen mit seinem Glück, seiner Sehnsucht, seinem Leid und seinen Sorgen und sich von diesem Menschen herausfordern zu lassen“.

„Seht, da ist der Mensch.“ Das Motto, so lese ich es, lädt ein, den richterlich-verhöhnenden Gestus, der dem Wort des Pilatus zugrunde liegt, zu überwinden. Die Betonung in „Seht, da ist der Mensch“ liegt nicht nur auf dem Menschen, sondern auch auf dem Imperativ „Seht!“. Doch um gesehen werden zu können, bedarf es nicht nur des Lichtes (der Öffentlichkeit, der Aufklärung), sondern auch der Sichtbarkeit.

Darum ist es schön und wichtig zugleich, dass ein Zentrum Regenbogen einen festen Platz hat - mittendrin, sichtbar, Teil des Ganzen. Gastgeberin für das Zentrum ist übrigens die evangelisch-lutherische (!) Michaelis-Friedens-Gemeinde mit ihrem Gemeindehaus und der Friedenskirche am Kirchplatz. Vor allem, aber nicht nur hier wird ein breitgefächertes Programm mit Andacht, Diskussion und Begegnung geboten. Organisiert wird es von Gruppen wie dem Netzwerk katholischer Lesben, der Initiative Kirche von unten und der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexualität und Kirche. Einige Veranstaltungen des Zentrums wurden auch in das offizielle Programm des Katholikentages aufgenommen. Bei allem Streit, bei allen Befürchtungen über Rückschritte (nicht nur) in der katholischen Kirche und ihrem Umgang mit Homosexuellen, ist das ein gutes Zeichen.

Für den Wunsch nach Sichtbarkeit könnte exemplarisch eine Diskussion am Samstagmittag stehen: „Ask and tell – wir brauchen und möchten Partnerschaftssegnungen in der katholischen Kirche“. Tags zuvor soll bei „Gender-Streit in Kirche und Gesellschaft - Worum geht es überhaupt?“ Licht auf ein Phantom geworfen werfen, das seit Längerem Anlass für pauschale Schuldzuweisungen und Diskriminierungen bietet. Ein Blick auf den Papst versteht sich eigentlich von selbst - Prof. Dr. Hermann Häring fragt am Donnerstagabend: „Papst Franziskus – ein erfolgreiches Projekt?“. Mittags- und Abendgebete sind Teil des Programms, ebenso wie der gemeinsame ökumenische Gottesdienst am Samstagabend. Dem folgen zum Abschluss die Chöre „Die Tollkirschen“ und „Queerubin“ ... Da hat man dem Motto des Katholikentags wohl nicht ganz getraut und wollte auf Nummer sicher gehen: Wer nicht sehen will, muss wenigstens hören!

Infos: Der Katholikentag findet vom 25.-29. Mai 2016 in Leipzig statt. Auf der Internetseite des Zentrums Regenbogens findet sich ein Programmflyer (PDF) mit Details zu den Veranstaltungen.

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