Zum dritten Mal führt mich in diesem Jahr mein Weg zum Alten Sankt-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg. Nach der offiziellen Einweihung der Erweiterung einer Gemeinschaftsgrabstätte für an den Folgen von Aids Verstorbene im Oktober lud die Ökumenische Aids-Initiative Kirche PositHIV am letzten Samstag zu einer Gedenkfeier anlässlich des Welt-Aids-Tages.
Dorothea Strauß leitet zusammen mit Bruder Gregor Wagner ofm die Gedenkfeier. Sie hat 1993 auch die Aids-Initiative zusammen mit dem Franziskaner P. Norbert Plogmann ofm gegründet. Der "taz" hat sie einmal gesagt, die Initiative sei kein Angebot "von oben herab", sondern ein Zusammenschluss von "Menschen, die mit HIV und Aids leben und ihren Platz in der Kirche fordern". Aufgrund der verbesserten Medikamente macht inzwischen, so ist es im Interview mit evangelisch.de nachzulesen, seelsorgerliche Begleitung mitten im Leben den wichtigsten Aspekt der Arbeit aus. Doch auf der Gedenkfeier wird an diesem Samstag im Dezember an die erinnert, die an der letztlich immer noch unheilbaren Immunschwächekrankheit gestorben sind.
Die Gedenkfeier beginnt, nicht unpassend, mit dem Lied "Die Nacht ist vorgedrungen" mit seiner adventlichen Symbolik von Dunkelheit und leuchtendem Stern. Nach einem Psalmgebet (Auszüge aus Psalm 55) und einer Lesung aus dem 1. Korintherbrief, 15 (42-44, 54f., 57) erfüllt Eric Lee Johnson mit seiner klaren Stimme und Songs von Stephen Sondheim ("I Remember", "Being Alive") den Raum. Dazwischen trägt Ulrich Klein Gedichte vor - und misst auf erhellende Weise die Fallhöhen zwischen Kurt Tucholsky, Detlev Meyer und Rainer Maria Rilke aus.
Mit diesen vielfältigen Elementen spannt die kleine Gedenkfeier einen kulturell wie spirituell weiten Bogen, in dem ich mich selbst und meine Erinnerung an Geschehenes, an die Toten wie die Lebenden gut zu verorten weiß: Die Zerbrechlichkeit, die Sehnsucht, die Angst, die Verbundenheit, die Liebe, die Momente der Solidarität, die Schönheit. Kein Raum, das wird mir erst hinterher klar, hat in diesem Moment die Wut auf die, die ausgrenzen und entwürdigen, die Menschen den Zugang zu medizinischer Versorgung und fachlicher Aufklärung verwehren.
Nach Fürbitten für die Verstorbenen, für ihre Angehörigen wie auch für all die, die mit einer HIV-Infektion leben, folgt der gemeinsame Gang von der Kapelle zur Grabanlage des Vereins Denk mal positHIV. Auf der neugestalteten Stele aus dunklem Berliner Klinker sind nun fünf Namen eingraviert: die Namen von fünf Menschen, die 2015 an den Folgen von Aids gestorben sind und hier nun ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Ich habe sie nicht gekannt, erfahre, dass einer der Männer viele Jahre ehrenamtlicher Mitarbeiter im Team von Kirche PositHIV war. Über das Leben der Frau, die im September verstarb, lese ich später in der Trauerrede einer Hospiz-Mitarbeiterin. Sie ist auf der Internetseite von Denk mal positHIV veröffentlicht.
Ein Kranz wird niedergelegt, Bruder Gregor Wagner segnet das Grab, gemeinsam betet man das Vaterunser. Zuletzt entzünden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Kerzen und verteilen sie auf den verschiedenen Feldern der Anlage.
Die Gedenkfeier an diesem Samstag auf dem Alten Sankt-Matthäus-Kirchhof in Berlin ist zu Ende. Ein Moment des Innehaltens ist vorüber, aber die Erinnerung begleitet mich - und die Ahnung, dass die Dunkelheit und der Tod nicht das letzte Wort haben.