30 Stipendiatinnen und Stipendiaten des Evangelischen Studienwerks in Villigst und acht Teamer_innen sind im März 2015 eine Woche lang in einem Benediktinerinnenkloster zu Besuch gewesen. Eine Woche Zeit, um neben den klösterlichen Tageszeitgebeten die biblische Geschichte vom Propheten Elia kennen zu lernen und aus ganz verschiedenen Perspektiven zu vertiefen. Dafür haben wir den biblischen Text intensiv gehört und gelesen, bibliodramatisch gespielt, lebhaft diskutiert, meditiert, wir haben dem Text in der Oratoriumsfassung von Felix Mendelssohn Bartholdy musikalisch nachgespürt und ihn in ganz verschiedener Weise kreativ dargestellt.
Eine dichte Woche war es und für die meisten eine existentielle dazu. Wir haben uns mit der Berufung des Elia beschäftigt genauso wie mit seinem Glauben, seinem religiösen Eifer bis hin zu seinem Zweifel, der Glaubenskrise und der Frage, wer er eigentlich sei angesichts von Verfolgung, Einsamkeit und der Suche nach sich selbst. Gleichzeitig war unsere Auseinandersetzung mit der biblischen Geschichte eng verknüpft mit der Frage nach dem eigenen Leben. Was ist meine Berufung? Was ist mir wichtig und wofür setze ich mich ein? Was kann ich und wofür brenne ich? Und an welcher Stelle verrenne ich mich auch oder werde arrogant und von Macht berauscht so wie Elia, als er im Kampf mit den Priestern anderer Götter jedes Maß verliert und sie nicht nur umbringen lässt, sondern selbst mit mordet. Wie gehe ich mit Krisen in meinem Leben um, wenn ich mich schuldig fühle, einsam, unverstanden, anders als die anderen, allein?
Für diese existentiellen Fragen haben wir uns in der Woche Zeit genommen - alleine, zu zweit, in Gruppendiskussionen, im Gebet, beim Singen, Spielen und Muszieren. Intensive Gespräche hat es gegeben. Einige der Teilnehmenden haben Persönliches erzählt, andere sind still geworden, viele haben gelacht, geweint, mehrere haben etwas von sich gezeigt, was sie sonst nicht so leicht von sich zeigen. Die Auseinandersetzung mit der biblischen Geschichte und die persönliche Aneignung waren möglich, weil wir behutsam und vertrauensvoll miteinander umgegangen sind und weil Liturgien, Gebete und der biblische Text einen klaren Rahmen für alle Begegnungen gebildet haben. Und nicht zuletzt: Gottes Zuspruch hat uns durch die Geschichte hindurch getragen. Egal wie einsam und verzweifelt Elia war und wie wenig er sich geeignet gefühlt hat Gottes Auftrag zu erfüllen, Gott war da, hat ihn nicht alleine gelassen. Er hat ihm in der Krise mitten in der Wüste das Nötigste zum Leben gegeben: Wasser, Brot und die Aufforderung: "Steh auf, iss und geh, denn dein Auftrag ist noch nicht zu Ende!"
Einige Studierende haben sich damit beschäftigt, inwiefern Elia eigentlich anders war als Andere damals. Und sie haben sich gefragt, was jemanden eigentlich zum Anderen macht, damals und heute? Ihre Antwort: Menschen werden als anders angesehen, wenn sie aus scheinbar selbstverständlichen Handlungsmustern herausfallen. Wenn sie sich "nicht normal" verhalten, wenn sie keinen gängigen Beruf annehmen, wenn sie nicht heiraten. Sie folgen Gottes Berufung nach, ohne genau zu wissen, was das eigentlich ist und ob sie das können, was Gott von ihnen erwartet.
Mit dieser Entscheidung fallen sie er aus der "Normalschablone" heraus. Sie werden zu Anderen, zu misstrauisch Beäugten, angeblich Ver-Rückten, die im Fall von Elia den Mächtigen so viel Angst einjagen, dass sie ihre Soldaten auf ihn loshetzen und ihn verfolgen lassen.
Elia soll sterben, weil er unangenehme Wahrheiten verkündete, die aufgerüttelt und das scheinbar selbstverständliche Dasein hinterfragt haben.
Elia kritisierte Mainstream-Meinungen und lebte sein Leben quer zu allem, was damals als normal und angemessen galt.
Und doch war Gott mit ihm, oder: gerade deswegen!
Diese Erkenntnis hat viele der Studierenden ermutigt. Elia war anders, er war nicht nur ein Gläubiger, sondern auch ein Zweifler. Er war nicht nur ein toller Typ, sondern einer der gescheitert ist, einer der sich religiös verrannt und sich an seiner Vollmacht berauscht hat. Er fühlte sich berufen und unfähig zugleich, vollmächtig und hilflos, einsam und unverstanden. Trotzdem schaffte er es mit Gottes Hilfe aus der Krise herauszukommen.
Gott war und blieb bei ihm!
Die Studierenden übersetzten das in ihr eigenes Leben: Anders fühlen sich einige, weil sie sich als gläubige Christinnen und Christen in einem säkularen Umfeld zeigen, weil sie bewusst vegetarisch leben und auf Fleischkonsum verzichten, andere weil sie jedem religiösen Eifer misstrauen und sich aktiv gegen jede Form von Fundamentalismus und Extremismus einsetzen, weil sie in Menschenrechtsgruppen für Flüchtlinge eintreten oder beim Kirchenasyl mithelfen und dafür manchmal Unverständnis oder sogar Gewaltandrohung ernten. Einige fühlen sich als Stipendiatinnen und Stipendiaten der evangelischen Begabtenförderung gestresst oder sogar überfordert, weil sie sich gar nicht für begabt halten oder noch danach suchen, was ihre Bestimmung ist. Der eine oder die andere fühlt sich anders, weil sie noch nicht verheiratet sind oder noch keinen Partner oder Partnerin haben, oder weil sie entdecken, dass sie sich in Menschen des gleichen Geschlechts verlieben und sich deshalb vorverurteilt und ausgeschlossen fühlen.
Wie wohltuend war es da für die Studierenden im biblischen Text zu erfahren, dass Gott bei Elia bleibt, obwohl er anders ist, obwohl er verfolgt wird und sich alleine fühlt. Gott ist da! Diesseits und jenseits von Normalitätskonstruktionen ermutigt Gott die Menschen, zu sich selbst zu stehen, glaubwürdig nach der eigenen Bestimmung zu suchen und sich von Gott zurufen zu lassen: Wofür brennst du? Was steckt in dir und will sich zeigen, auch wenn es nicht "normal" ist? Tue es mit Würde, Respekt und Achtsamkeit. Steh auf, iss und geh!