"Brauchen eine fürsorgliche Gesellschaft"

Sich kümmernde Frau lacht mit Seniorin
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Ein Großteil der Fürsorge und Pflegearbeit wird von Frauen geleistet und ist in der Öffentlichkeit noch immer unsichtbar.
Stimmen zum Equal Care Day
"Brauchen eine fürsorgliche Gesellschaft"
Alle Menschen brauchen die fürsorgliche Zuwendung anderer - vom Baby bis zum Senior. Ein großer Teil dieser Sorgearbeit wird unbezahlt geleistet, meist von Frauen. Mehr Wertschätzung und eine bessere Verteilung fordert der Equal Care Day am 1. März. Dass er eigentlich auf den 29. Februar festgelegt ist, soll darauf hinweisen, dass Care-Arbeit weitgehend unsichtbar ist. Das "Manifest" des Netzwerks Equal Care Day entstand vor fünf Jahren - mitunterzeichnet von Andrea König, Referentin im "forum frauen" in der Wirkstatt evangelisch in Nürnberg.

Frau König, auf welche Ungleichheiten will der Equal Care Day aufmerksam machen?

Andrea König: Der Equal Care Day ist nicht nur ein Aktionstag, sondern ein Netzwerk, das die Sichtbarkeit, Wertschätzung und faire Verteilung von Care-Arbeit einfordert. Es weist darauf hin, wie ungleich diese in unserer Gesellschaft verteilt ist. Care-Arbeit umfasst alle Tätigkeiten der Fürsorge und des Sich-Kümmerns, wie etwa Kinderbetreuung, Haushalt und Pflege.

Dazu gehört auch die unsichtbare Sorgearbeit, die häufig nicht wahrgenommen wird. Der Equal Care Day rückt in den Fokus, wie geschlechtsspezifisch sie verteilt und welche ökonomische Benachteiligung damit verbunden ist.

Das Manifest fordert, dass Care-Arbeit in ihrem volkswirtschaftlichen Nutzen anerkannt wird. Was würde das ändern?

König: Care-Arbeit würde als essenzieller Bestandteil der Wirtschaft gesehen. Sie macht alle andere Arbeit erst möglich. In der Schweiz wird die unbezahlte Sorgearbeit volkswirtschaftlich einberechnet. Hier dagegen wird sie wie ein Nebenschauplatz des Systems behandelt. Würde sie anerkannt, könnten Politik und Wirtschaft konkrete Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Care- und Erwerbsarbeit initiieren.

Andrea König ist Referentin in der Wirkstatt evangelisch in Nürnberg

Ausbildungen ließen sich besser mit Care-Verantwortung vereinbaren und Kompetenzen aus der Sorgearbeit auf dem Arbeitsmarkt anrechnen. Flexiblere Arbeitszeitmodelle, fairere Bedingungen für bezahlte Sorgearbeit und die Berücksichtigung von Care-Biografien bei Einstellungen wären weitere Konsequenzen.

Wie sähe eine Strategie aus, um die unbezahlte Sorgearbeit zu stärken?

König: Ökonomisch ginge es etwa darum, Pflegezeiten auf die Rente anzurechnen oder steuerliche Anreize für Menschen zu schaffen, die Sorgearbeit leisten. Politisch wären Rahmenbedingungen wichtig, etwa eine Reform der Pflegezeit.

"Der Großteil unbezahlter Sorgearbeit wird in Deutschland weiterhin von Frauen getragen."

Zudem ist ein Umdenken nötig, das erkennt, wie unverzichtbar und wertvoll Care-Arbeit für unsere Gesellschaft ist. Bildung und mediale Darstellung sind hier ebenso wichtig wie die Förderung männlicher Care-Arbeit mit Vorbildern in der Öffentlichkeit. Der Großteil unbezahlter Sorgearbeit wird in Deutschland weiterhin von Frauen getragen.

Ist es nicht auch so, dass Frauen sich oft mehr kümmern wollen als Männer?

König: Häufig organisieren Frauen den Alltag von Paaren und Familien. Es ist ein ständiges Koordinieren, Planen, Organisieren, Terminieren. Dieser Stress wird oft übersehen. Frauen nehmen ihn meist auf sich, vor allem, wenn Kinder dazukommen. Das hat verschiedene Gründe. Einerseits spielen Vorbilder und Erwartungen eine Rolle. Andererseits wirken stereotype Rollenbilder, mit denen Mädchen aufwachsen.

"Den Männern fehlt es meist nicht am Wollen, sondern eher an der Kompetenz, am Blick und an Übung für die mentale Arbeit."

Frauen haben so einen Wissensvorsprung und mehr Verantwortungsgefühl, was das Kümmern betrifft. In diese Falle tappen selbst aufgeklärte Frauen und Paare. Den Männern fehlt es meist nicht am Wollen, sondern eher an der Kompetenz, am Blick und an Übung für die mentale Arbeit. Frauen dagegen unterschätzen diese Aufgabe oft. Wichtig ist, Rollenzuschreibungen gemeinsam zu reflektieren, zu durchbrechen und sich für ein Umdenken einzusetzen, denn viele Frauen sind fürsorglich, viele Männer auch.

Wie könnte eine fairere Verteilung zwischen den Geschlechtern erreicht werden?

König: Dafür müssen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft die Rahmenbedingungen schaffen. Zudem braucht es einen Kulturwandel, so dass Gleichberechtigung nicht nur dann als erreicht gilt, wenn Frauen und Männer zu gleichen Teilen einer Erwerbsarbeit nachgehen. Care-Arbeit muss als wertvolle und notwendige Arbeit im Mittelpunkt stehen. Die Auswirkungen dessen, wie viel Bedeutung wir ihr beimessen, sind gravierend. Sie ist das Rückgrat, die Grundlage unserer Gesellschaft.

Gefordert wird auch, die Sorgearbeit auf die Rente anzurechnen. Welche Auswirkungen hätte das?

König: Es gäbe weniger Altersarmut bei Frauen und bessere finanzielle Absicherungen für alle, die Care-Arbeit leisten. Eigenständige Rentenansprüche wären gewährleistet, so dass alle, die Sorgearbeit leisten, nicht auf die Rente des Partners angewiesen sind. Sie würde aufgewertet und stärker aus der privaten Verantwortung herausgerückt.

"Care" bedeutet Fürsorge. Welche Gesellschaft schwebt Ihnen vor?

König: Wir brauchen eine fürsorgliche demokratische Gesellschaft. Sorge und Fürsorge richtet den Blick auf andere und ihr Wohlergehen. Das setzt voraus, dass ich den anderen wahrnehme und Mitgefühl sowie Bereitschaft mitbringe. Als "forum frauen" möchte ich mit dem "Evangelischen Care Bündnis" in das Equal-Care-Day-Netzwerk das einbringen, was uns als Kirche und Diakonie trägt. Es geht um das Menschenbild, um unser aller Verletzlichkeit, Abhängigkeit und Unvollkommenheit. Eine rein ökonomische Sicht blendet das eher aus.

Ist Care-Arbeit nicht einfach gelebte Nächstenliebe?

König: Manche stören sich am Begriff "Arbeit", weil das Sich-Kümmern aus christlicher Überzeugung als Akt der Nächstenliebe verstanden wird. Aber Nächstenliebe bedeutet nicht, dass Care-Arbeit keine Arbeit ist. Sie ist weder Beziehungspflege aus Liebe allein, noch ist sie banal. Care-Arbeit christlich ernstzunehmen bedeutet, menschliche Lebenswirklichkeiten anzuerkennen.

Gibt es Länder, wo Pflege und Fürsorge höher angesehen und besser bezahlt sind?

König: In den skandinavischen Ländern sind nicht nur Care-Berufe besser bezahlt und die Arbeitsbedingungen attraktiver, auch die unbezahlte Sorgearbeit ist gleichmäßiger verteilt. Männer nehmen häufiger Elternzeit und sind stärker eingebunden. Zudem gibt es staatliche finanzielle Hilfen für pflegende Angehörige. Auch in Holland und in Kanada ist Care-Arbeit besser angesehen und besser bezahlt.

Was versprechen Sie sich von der künftigen, wahrscheinlich schwarz-roten Bundesregierung?

König: Die Diskussion sollte sich stärker darauf fokussieren, Lösungen zu finden. Was wir mehr bräuchten, nennt die Soziologin Jutta Allmendinger "soziale Innovation". Es müssten mehr Anreize geschaffen werden, um Geschlechtergerechtigkeit herzustellen, etwa die Vier-Tage-Woche.

Was kann jede und jeder Einzelne jetzt schon tun?

König: Das fängt beim Reflektieren über Rollenbilder und beim Aushandeln der Verantwortung im Haushalt an. Man kann offen über Care-Arbeit sprechen - unter Freunden, Kollegen, in der Arbeitswelt. Man kann sich jederzeit im Netzwerk Equal Care Day engagieren. Es gilt, bessere Arbeitsbedingungen zu fordern und Respekt zu zeigen gegenüber allen, die Care-Arbeit leisten. Jeder kleine Beitrag trägt dazu bei, dass Care-Arbeit sichtbar wird.