Vor einem Hauseingang steht eine Holzkiste. Bis oben hin ist sie gefüllt mit Birnen. Auf dem Weg zur Arbeit, radle ich daran vorbei. Und stutze. Auf dem Land mag es das häufiger geben, in Berlin aber ist es eine Besonderheit. An der Kiste ist ein Schild befestigt: „ Greift zu! Nehmt euch, was ihr braucht. Unser Birnbaum hing in diesem Jahr so voll wie nie zuvor“, steht darauf. Und ich halte an. Und ich halte inne.
Und ich werde dankbar. Dankbar für so reiche Ernte und für das Gefühl, oft so flüchtig: Es ist gut für uns gesorgt. Heute ist mal genug für alle da. Nehmt euch, was ihr braucht. Einfach so. Ohne die Erwartung einer Gegenleistung.
Und doch zögere ich, mir eine Birne zu nehmen. So viel unverhoffte Großzügigkeit ist ungewohnt. Genau wie das Vertrauen bei gleichzeitiger Verantwortung, selbst zu entscheiden, ob und wie viele Birnen ich nehme. Denn die Frage ist: Was brauche ich eigentlich?
Und ich stelle mir vor: Vielleicht ist so „Paradies“: Reiche Ernte. Fülle trotz vorausgegangener Dürre. So viel nie zuvor. Das Leben schmeckt nach Sommer. Lang und warm und süß. Geschenke gibt’s ohne Gegenleistung. „Nehmt und esst.“ Das Zusammenleben basiert auf Vertrauen, aber da ist auch Verantwortung: Entscheide selbst. Werde nicht gierig. Wäge ab. Halte Maß. Verweile und teile. Tägliches Brot. Tägliches Leben. Teile es und werde ganz dabei.
Bevor ich weiterradle, nehme ich mir eine Birne. Weil ich plötzlich weiß, was ich brauche. In diesem Moment. In dieser Zeit. Ich nehme die Birne nicht, weil ich hungrig bin, sondern weil sie mir zur kost-baren Erinnerung wird: Vielleicht gibt’s nicht nur Paradiesäpfel.