Neulich: Eine Freundin erzählt mir von einer Begegnung.
Sie ist unterwegs, um ihren Wocheneinkauf zu machen, ihr Wagen ist randvoll. „Möchten Sie vielleicht vor?“, fragt sie daher den Herrn hinter sich, der lediglich zwei Schachteln Pfefferminztee und ein Päckchen Salbeibonbons in den Händen hält, und schiebt ihren eigenen Einkaufswagen ein Stück beiseite. Er wirkt überrascht, aber dankbar. Seine Stimme ist belegt, er hustet. „Das wäre so lieb von Ihnen. Es geht mir nämlich nicht gut.“ – Und meine Freundin lächelt ihn an. Ganz kurz nur. „Kein Problem“, sagt sie und wünscht ihm „Gute Besserung!“ Da zuckt der Mann zusammen. In seine Augen schießen Tränen. Schnell wischt er sie mit dem Handrücken weg. Es scheint ihm unangenehm zu sein, dass sie sieht, wie berührt er mit einem Mal ist. Er beeilt sich zu bezahlen, nickt ihr noch einmal zu und verschwindet aus dem Geschäft.
Während meine Freundin mir davon erzählt, hat auch sie Tränen in den Augen. „Er hat mich angeschaut, als wäre ich ein Engel oder so. Dabei bin ich nicht mit ihm heimgegangen, ich hab ihm keinen Tee gekocht oder Wadenwickel gemacht. Ich hab ihm bloß gute Besserung gewünscht. Mehr nicht“, sagt sie kopfschüttelnd. Die Begegnung geht ihr nach und geht ihr nah. „Vielleicht war ich die Erste, die überhaupt mit ihm gesprochen hat, an diesem Tag. Oder in dieser Woche.“ Ihre Stimme ist ein Flüstern.
Wir glauben zu wissen, wie einsam Menschen sein können und doch überrascht es uns, wenn wir erleben, wie sehr es jemanden rührt, wenn man ihn wahrnimmt. Einfach wahrnimmt. Wie wenig dann reicht. Ein Blick bloß. Ein Wunsch bloß. Eine Geste. Mehr nicht.
Dann müssen wir gar keine Engel sein, keine Heldinnen. Es reicht, wenn wir einander Nächste sind. Nachbarschaftlich und nah. Zugewandt und zärtlich. Wenn wir jemanden ansehen. Ihn wahrnehmen. Ihm Gutes wünschen. Ihn in seinem Wert schätzen. Und ihm zumindest einen winzigen Augenblick lang Ansehen verleihen. Ein Stück Würde zurückgeben. Verbunden mit der Zusage: Gott sieht dich auch.