Vielleicht liegt es am November. Vielleicht an der bevorstehenden Adventszeit. Vielleicht an der oft so großen Herausforderung, Familie, Beruf und die eigenen Bedürfnisse miteinander zu vereinen, ohne dass etwas oder jemand dabei zu kurz kommt. Ich kenne das selbst nur zu gut und doch macht es mich betroffen und nachdenklich, dass mir in dieser Woche gleich fünf Freundinnen ganz unabhängig voneinander schreiben oder erzählen, sie könnten nicht mehr: Ich fühle mich so leer. Mir fehlt die Luft zum Atmen. Gerade scheint alles um mich herum dunkel. Was für ein schreckliches Jahr.
Ich höre ihre Erschöpfung, ihre Verzweiflung und ihren Schmerz. Ich lese ihre Worte, die sie sich von der Seele geschrieben haben, um ein Stück loszuwerden, nicht mehr so allein mit allem zu sein. Ich werde zur Adressatin ihrer Gedanken und Gefühle. Ich weiß, sie erwarten nichts von mir, trotzdem würde ich gerne helfen. Doch auf das Gefühl, sich selbst zu fehlen, gibt es keine einfache Antwort. Ratschläge, wie: „Dann nimm dir halt mal Zeit für dich selbst“, oder: „Sei eben nicht immer so perfektionistisch“, oder: „Mach doch einfach Licht an“, sind nicht nur wenig hilfreich, sondern oft verstärken sie den Schmerz noch. Floskeln bloß, die das Gefühl vermitteln: Stell dich nicht so an. Anderen geht es viel schlechter als dir. Guck dich doch bloß mal um in der Welt. Solche Sätze verkennen, dass den Erschöpften, Verzweifelten und Verletzten oft geradezu schmerzhaft bewusst ist, dass es anderen zwar schlechter geht, dass das die eigenen Gefühle aber nicht mildert. Im Gegenteil. Zum eigenen Seelenschmerz kommt ein Weltschmerz hinzu. Die Leere wird noch größer, die Luft zum Atmen noch weniger, die Dunkelheit noch dunkler. Was für ein schreckliches Jahr.
Ich bin gerne Freundin, Weggefährtin, Nächste. Ich bin dankbar für das Vertrauen, das mir geschenkt wird und empfinde es als Ehre, um Rat gefragt zu werden. Und doch habe auch ich oft das Gefühl, wenig ausrichten zu können. Ich stehe bloß daneben. Ich kann zuhören und aushalten und versuchen, Worte zu finden, die wie ein Pflaster für die offenen Wunden sind. Doch um zu heilen, wirklich zu heilen, braucht es Luft und Zeit, Liebe und Vertrauen.
Das alles gleichzeitig herbeizuzaubern ist vermutlich unmöglich. Aber vielleicht können wir Freunde, Weggefährten und Nächsten, Lücken schaffen für das Glück. Kleine Lücken für das kleine Glück. Das Glück, das mit zweitem Namen „Trotzdem“ heißt und widerständig ist gegen den Schmerz und gegen das Scheitern. Das Glück, das der Leere nicht das Feld überlässt und schon gar nicht das Herz. Das Glück, das Lichtungen bereithält, inmitten von Dickicht und Dunkelheit. Das Glück, das am Ende aus dem schrecklichen Jahr vielleicht nur noch ein halb-schreckliches Jahr macht. Versuchen kann man’s ja mal.