Anbiedern oder Abbiedern, das ist hier die Frage

Besondere Aktionen
Anbiedern oder Abbiedern, das ist hier die Frage
Coole neue Gottesdienstformen finden viel Aufmerksamkeit – oder geschieht das nur um der Aufmerksamkeit willen?

„So wollen Kirchen neue Mitglieder gewinnen“ überschreibt der SWR3 eine Insta-Kachel. Darunter drei Beispiele, die in dieser Zusammenstellung wirklich ziemlich krass sind: Ein Gin-, Rum- und Whisky-Tasting in Baiersbronn unter dem Motto „Spiritualität und Spirituosen“. Eine „Taylor-Swift-Kirche“ in Heidelberg mit Live-Covermusik. Und ein „Herr der Ringe“-Gottesdienst, zu dem die Nikolaikirche in Eisenach wie der Elbenwald geschmückt wird und Filmmusik auf der Kirchenorgel ertönt.

Dürfen die das denn? Ist Gottesdienst nicht vielmehr Kontemplation, Anbetung, Gebet, wasauchimmer und nicht irgendwelche zeitgeistgeprägten Aktionen? Die wollen doch nur Aufmerksamkeit erlangen und ein paar Schäfchen einfangen!

Solche und teilweise noch viel unangenehmer formulierte Kommentare lese ich im Internet. Gut, ja, man soll einfach keine Kommentare im Internet lesen. Aber manchmal komme ich halt auch nicht wirklich drum herum.

Zunächst mal: Wirklich recht machen können wir es als „Kirche“ (was ja sowieso ein sehr bunter Sammelbegriff für alle möglichen Formen ist) sowieso nicht allen. Den einen sind unsere Gottesdienste zu langweilig und althergebracht. Und wenn wir dann mal was Neues anbieten – dann passt es auch wieder nicht.

Dabei sind diese Angebote (meistens) wirklich gut durchdacht. Der Taylor-Swift-Gottesdienst etwa, den mein katholischer Citykirche-Kollege Vincenzo Petracca anbietet, ist nur einer in einer langen Reihe von musikalischen Gottesdiensten, die sich intensiv mit den jeweiligen Künster*innen, ihren Liedtexten und ihrer Beziehung zum Glauben beschäftigen. Da gab es vorher schon viele andere, nur mit Taylor Swift hat die Gemeinde nun eben einen Nerv getroffen, auch die kostenlosen Reservierungstickets für den Wiederholungsgottesdienst sind schon lange weg, Zeitungen selbst in Brasilien berichten darüber. Warum eigentlich? Das ist mir tatsächlich nicht so ganz klar.

Besondere Gottesdienste mit besonderen Themen: Das machen wir doch ständig. An vielen Orten. Mal erfolgreicher, mal weniger erfolgreich – nicht immer ist der Erfolg (sofern man ihn ausschließlich in Besucher*innenzahlen und Presseecho messen will) tatsächlich analog zur Qualität des Angebots. (Womit ich nichts über die genannten Aktionen sagen will, eher über viele kleine Perlen in den Gemeinden, die die verdiente Aufmerksamkeit nicht bekommen.)

Anders wäre das, würde es sich nur um „Lurche“ handeln. So nannte Thomas Hirsch-Hueffell vom Hamburger Gottesdienstinstut einmal das Phänomen, dass manche Prediger*innen am Anfang der Predigt einen großen Knaller bringen („Schaut her, ich habe einen Lurch dabei!“) - ohne, dass dieser Lurch etwas mit der weiteren Predigt zu tun hätte. Aber das ist es ja nicht. Im Gegenteil, ich sehe – zumindest aus der Ferne – eine sehr intensive Auseinandersetzung mit dem Thema. Mit den Personen. Mit den Filmmotiven.

Und, ganz ehrlich: Warum sollten wir Christ*innen uns mit Gottesdiensten abfinden, die nicht mit unserem Leben zu tun haben? Wir gehen ja nicht nur sonntags in den Gottesdienst. Wir hören Musik – viele sicher auch Taylor Swift. Wir gehen ins Kino und viele finden „Herr der Ringe“ toll. Wir trinken nicht nur züchtig einen einzelnen Schluck Wein beim Abendmahl. Wir leben. Und unser Leben soll sich bitte nicht nur lurchenderweise, sondern ganz direkt, spürbar und nachvollziehbar in unseren Gottesdiensten wiederfinden. Auch, wenn das manchen nicht passt. Ob wir damit neue Mitglieder gewinnen, wie SWR3 titelt? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht gewinnen wir auch nur einen neuen Zugang zu unserem eigenen Glauben.

Die anderen Gottesdienste, die kontemplativen, die klassischen, die mit den jahrhundertealten Melodien und liturgischen Elementen: Die haben auch ihren Platz und ihre Berechtigung. Jedenfalls, solange es Menschen gibt, die sie gerne besuchen und dort eine Stärkung ihres Glaubens erfahren. Aber ich finde es ganz wunderbar, dass es darüber hinaus viele andere Formen gibt.

Ob Taylor Swift oder II. Psalmton: Hauptsache, es geschieht zur Ehre Gottes und zum Wohl der Menschen.

Einen gesegneten Gottesdienst!

weitere Blogs

Die Generalkonferenz der Methodist:innen hat vor Kurzem die diskriminierenden Regelungen gegenüber queeren Menschen aufgehoben. Katharina Payk traf zwei spannende Vertreter der methodistischen Kirche zum Gespräch über die gegenwärtigen Kämpfe und die Zukunft in der weltweiten Freikirche.
… von monumentalen Skills, die nicht zählen.
Das queere Vereinsleben ist so bunt und vielfältig wie die queere Szene. Aber wie politisch neutral sollten diese Vereine heute (noch) sein?