Ja, es ist ernst: Wenn Sie nochmal einen Gletscher in den Alpen besichtigen wollen, sollten Sie sich beeilen. In Deutschland gibt es statt früher fünf nur noch vier – der Südliche Schneeferner ist bereits zu klein geworden, um ihn noch als Gletscher zu bezeichnen. Und sein „Bruder“, der Nördliche Schneeferner, wird den Status wohl um das Jahr 2030 herum verlieren.
Zu warm, zu wenig Niederschlag im Winter – es gibt mehrere Gründe dafür, alle haben sie mit der zunehmenden und eindeutig menschengemachten Klimaerhitzung zu tun. Die ganzen Alpen verändern sich, wenn ewig eingefrorene Gebirgszüge auftauen. Das Schmelzwasser im Frühjahr fehlt in der Region. Murenabgänge werden häufiger und gefährlicher. Und so weiter. Doch der Prozess ist mittlerweile wohl unaufhaltsam, dieser Kipppunkt ist überschritten: Deutschland wird nach und nach alle Gletscher verlieren. Und die kommen auch nicht mehr wieder.
An der Zugspitze, am bereits erwähnten Nördlichen Schneeferner, feierten nun Christinnen und Christen ein ökumenisches „Requiem“. Eine Totengedenkfeier für den im Sterben liegenden Gletscher.
Requiem aeternam dona eis, Domine. Ewige Ruhe schenke ihnen, o Herr. Von diesem liturgischen Satz stammt die Bezeichnung für die ganze Feier. Ewige Ruhe: Kein Plätschern mehr des Tauwassers. Dafür vielleicht Lawinengrollen. Ruhe wird es eher nicht geben: "Er stirbt nicht lautlos, er kracht, er weint, so viel Wasser, so viele Tränen.", so beschreibt Komponist Andreas Zurbriggen das Sterben des Gletschers. Er hat bereits im Jahr 2016 ein Gletscher-Reqiuem geschrieben. Ruhe wird es nicht geben, aber gewaltige Veränderungen in der Alpenregion. Veränderungen, die auch für die Menschen, die dort wohnen, lebensgefährlich werden.
Darauf wollten die Gemeinden der Umgebung aufmerksam machen: Der Klimawandel schreitet voran – und bedroht unsere Lebensgrundlagen. Wie wichtig es ist, die Schöpfung zu erhalten, wurde den trauernden Menschen, die den Schneeferner vermutlich noch in seiner ganzen Größe von früher kannten, sicher deutlich, als sie von der Kapelle Mariä Heimsuchung auf 2.600 Metern Höhe am Zugspitzplatt zum „Totenbett“ des Gletschers zogen, das Kreuz vorweg.
Kirchenmusikdirektor Wilko Ossoba-Lochner hatte eine „Elegie auf das Ende des Ewigen Eises“ komponiert. Pfarrerin Uli Wilhelm aus Garmisch-Partenkirchen sagte: "Wir fürchten uns davor, dass unsere Lebensgrundlagen wegschmelzen wie dieser Gletscher". Mit Trauer, Sorge und Wut sehe sie, wie das Klima sich verändere. Es sei nicht zu verstehen, dass Lösungen auf die lange Bank geschoben würden.
Eine Elegie auf das Ende des ewigen Eises: Schöne Alliteration, aber gar nicht lustig. Ewig schien das Eis zu sein. Niemand hatte sich vorstellen können, dass es einfach so wegschmilzt – innerhalb weniger Jahrzehnte, ja Jahre. Das Ewig scheinende endet. In der Tat ein Sinnbild dafür, wie schnell und umfassend wir unsere eigenen Lebensgrundlagen zerstören, uns selbst in Gefahr bringen.
Vermutlich werden einige nun schreien: „Blasphemie! Ein Requiem ist nur für verstorbene Menschen da, nicht für gerade mal halbtote Gletscher!“ Ja und nein, möchte ich darauf antworten.
Zum einen: Jede Form der Trauerfeier, so wie ich sie verstehe, ist erst einmal für die Menschen da, die noch am Leben sind. Sie ehrt den oder die Verstorbene, bringt die Person ins Gedächtnis, begleitet sie oder ihn mit Gebeten auf dem letzten irdischen Weg. Aber vor allem soll sie denen, die trauern, Hoffnung und Trost geben. (Ja, ich weiß, die katholische Sicht ist teilweise eine andere, aber gucken Sie mal auf die Domain, unter der dieser Blogeintrag gespeichert ist.)
Und zum anderen: Die Form des Totengedenkens an sich scheint mir angesichts des großen Verlustes, vor dem wir stehen, in der Tat angemessen zu sein. Vielleicht wäre der Südliche Schneeferner, der bereits „tot“ ist, der bessere Ort gewesen. So ist es mehr wie eine Wache am Sterbebett. Eine, die noch ein paar Jahre anhalten wird – aber nicht mehr allzu lange.
Wir sollten viel mehr solche Requiems halten, finde ich. Für ausgestorbene Tierarten. Für versiegelte Bodenflächen. Für verbrannte Wälder. Für abgebaggerte Kohlefelder. Für die unzähligen uns unbekannten Menschen, die auf der Flucht sind vor einem sich verändernden Klima, in dem sie nicht mehr leben können, und die irgendwo verhungern, verdursten, versklavt werden oder ertrinken. Für ... ach, ich hör schon auf. Die Liste ist unendlich lang.
Was können wir tun? Vielleicht mal auf UN-Generalsekretär António Guterres hören und auf die vielen anderen, die immer wieder mahnen, dass wir dringend umsteuern müssen. Und zum anderen: Ja, Requiems feiern. Uns daran erinnern, was in unserer Welt gerade geschieht. Und dann, wie bei einer guten Trauerfeier, neue Hoffnung schöpfen. Hoffnung, dass wir es doch noch schaffen werden, das Ruder herumzureißen. Hoffnung, dass das Ewige nicht enden wird. Hoffnung, dass die Staaten weltweit sich wirklich zusammenreißen. Und wir wirklich alle an einem Strang ziehen und retten, was von dieser wunderschönen Welt noch zu retten ist.
Ein Requiem auf diese ganze Welt bin ich jedenfalls noch lange nicht bereit zu singen.