Ein Pfarrer für zehntausend

Neue Gemeindeformen
Ein Pfarrer für zehntausend
Zu wem sind wir eigentlich gesandt?

Bereits vor einiger Zeit berichtete ich davon, dass etliche Pfarrerinnen, Pfarrer und weitere Hauptamtliche aus dem Dekanat Schweinfurt – darunter ich – für einige Tage neue Gemeindegründungen in Rotterdam besuchten. Ein kurzer Satz aus einem dieser Gespräche begleitet mich auch heute noch, Wochen später.

Der Ort: ein größerer Abstellraum im Stadtteil Bospolder-Tussendijken (BoTu). Kaffee gibt’s aus Plastiktassen, denn so viele Tassen haben sie gar nicht, um uns alle bewirten zu können. Yess! nennt sich während Corona entstandene das Sozialprojekt, das für viele in dem relativ armen Stadtteil wichtig ist. Ein „Weggeefwinkel“, eine Art Sozialladen mit Dingen, die Menschen eben so brauchen.

Eine christliche Kirche gab es in diesem Stadtteil schon lange nicht mehr, vor fünf Jahren begann Nico van Splunter mit „Geloven in BoTu“ (Glauben in BoTu) und etwas später Yess!. Etwa 40 offizielle Mitglieder hat die kleine Gemeinschaft mittlerweile. „Zeit, im Nachbarviertel was Neues zu gründen“, grinst Nico. Hier fragen sie nicht nach Zugehörigkeit, sondern danach, wie sie ihrer Nachbarschaft Gutes tun können. „Wir dachten ja, dass die ganzen Migrantinnen und Migranten in den Niederlanden erst mal Fahrrad fahren lernen wollen – aber als wir sie fragten, wollten vor allem die Frauen erst mal Schwimmen lernen. Also machten wir einen Schwimmkurs. Und das war genau das, was sie brauchten.“

Im Gespräch tauschen wir uns aus. „Wie groß ist dein Ort?“ fragt Nico eine Pfarrerin. „8000 Menschen ungefähr.“ „Und für wie viele davon bist du Pfarrerin?“ „Etwa 1200.“ „Siehst du, ich bin hier Pfarrer für zehntausend.“

Diese Antwort hat mich überrascht und nachdenklich gemacht. Wie oft kreisen wir nur noch um unsere eigenen Gemeindeglieder? Sehen wir eigentlich noch die Gesamtheit? Pfarrer für zehntausend: Das könnte man als Überforderung ansehen, aber für Nico van Splunter ist es Lebenseinstellung: Gesandt zu sein zu allen. Nicht nur zu den Getauften, ganz im Gegenteil.

Für wen bist du Pfarrerin, für wen bist du Pfarrer? Oder Diakon*in? Oder einfach nur Christin oder Christ? Kurze Antwort: Für alle in deinem Viertel. Was kannst du, was kann deine Gemeinde Gutes tun für deinen Ort, deine Stadt, dein Stadtviertel? Und zwar, ohne erst mal drauf zu schauen: Was haben wir davon? Gemeinde sein, Kirche sein für die ganze Stadt, nicht nur für die eigenen Mitglieder. Ja, ich glaube, da können wir von dieser kleinen Bude in Rotterdam-BoTu eine Menge lernen.

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