Rätsel des Pfarreralltags, jedenfalls für Pfarrer wie mich, die im Laufe ihres Pfarrerlebens wohl schon so an die drei Pustilliarden verschiedene Kirchen bepredigt haben und dabei von Abstellkammer über Teeküche bis zur gotischen Kleinkapelle bereits so ziemlich alles an Sakristeien gesehen haben, was man sich vorstellen (oder auch nicht vorstellen) kann.
Immer wieder irritiert mich dabei ein Einrichtungsgegenstand, den es in einigen dieser Sakristeien gibt. Bei weitem nicht in allen, aber doch auch gar nicht so selten: Ein spezielles Telefon. Gewissermaßen der rote Draht zur Orgel. Jedes Mal, wenn ich vor so einem Telefon (bevorzugtes Modell: Fernsprechwandapparat „FeWAp 614“ der Deutschen Bundespost) stehe, rätsle ich, in welchen Situationen diese wundervolle technische Einrichtung wohl zum Einsatz kam oder möglicherweise auch noch kommt.
Ob Pfarrer (damals gab es noch keine -innen) und Organist/in einfach nur begeistert die damals neue Technik nutzten, um kurz vor dem Gottesdienst in einer Live-Telefonkonferenz die Lieder und den Ablauf abzustimmen? So musste der/die Organist/in sich wenigstens nicht in die Sakristei bemühen. Welch großer Fortschritt! Absprachen, ohne sich in echt zu sehen! Und da klagen wir heute über die Entfremdung der Menschen voneinander durch die sozialen Medien wie Facebook und Twitter. Und die Kirche hat's erfunden, schon vor Jahrzehnten!
Während des Gottesdienstes wäre es ja dann doch eher hinderlich, dieses Telefon zu benutzen. Jedes Mal, wenn ich so ein Telefon in einer Sakristei hängen sehe, stelle ich mir mit kleinen Variationen folgende Szene vor:
Die Organistin vergisst die Intonation für ein vom Pfarrer zu singendes Stück. Pfarrer lässt seine Gemeinde allein, rennt weg vom Altar in die Sakristei, wählt die 1 für Orgel. Es klingelt an der Orgel. „Hier Orgel?“ „Ja, hier Pfarrer. Könnte ich bitte eine Intonation für mein Amen in G haben?“ „Na klar, Entschuldigung, hab ich vergessen. Ach, wo ich Sie schon mal dran habe, denken Sie dran, dass ich nächste Woche Urlaub habe?“ „Ja natürlich.“ „Und die Frau Müller aus der Wiesenstraße müsste dringend mal besucht werden, die ist sehr krank.“ „Ja, mache ich gleich nach dem Gottesdienst. Könnte ich jetzt bitte mein G haben?“ „Oh Entschuldigung, hier bitteschön.“ Die Orgel spielt eine Intonation in G, während der Pfarrer in der Sakristei erschöpft das Telefon auflegt und deswegen leider nichts hört. Wieder am Altar angekommen, stellt er fest, dass er immer noch keinen Ton hat. Pfarrer lässt seine Gemeinde allein, rennt weg vom Altar in die Sakristei, wählt die 1 für Orgel. Es klingelt an der Orgel. „Hier Orgel?“ „Ja, hier Pfarrer. Könnte ich bitte nochmal eine Intonation für mein Amen in G haben? Aber etwas warten, bis ich wieder am Altar bin, bitte!“ „Ja, selbstverständlich! Was ich Ihnen noch erzählen wollte ...“ „EIN G BITTE!“
Etwa 20 Minuten nach Beginn unserer kleinen Szene wird der Gottesdienst nun fortgesetzt. Die Orgel intoniert ein G, der eigentlich völlig unmusikalische Pfarrer singt sein Amen in Fis.
Da wäre es doch viel einfacher, mal kurz vor versammelter Gemeinde zur Organistin zu rufen: „Ein G bitte!“ oder einfach gleich in irgend einer Tonlage anzufangen.
Also – Rätsel des Pfarreralltags: Was dachten sich unsere Vorfahren, als sie diese damals wohl noch ziemlich kostspieligen Geräte anschafften? Antworten spaßiger wie ernst gemeinter Natur gerne hier in die Kommentare. Vielleicht bin ich dann ja nächstes Mal schlauer, wenn ich so ein Ding in der Sakristei sehe.
„Fewap614“ von Achimsh - Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.