Wenn die Predigt dauert und dauert...

Wenn die Predigt dauert und dauert...

Der Bibeltext war eigentlich nicht so ergiebig, dass man daraus eine Predigt stricken konnte, die gefühlte Stunden dauerte. Aber dem Vertretungspfarrer, der sonst in einer anderen Gemeinde predigt, scheint der Bibeltext eine Quelle der Inspiration gewesen zu sein. Denn es sprudelt und sprudelt und sprudelt nur so von der Kanzel herab. Ich seufze und frage mich: Was mache ich eigentlich hier?

Ja, Luther sagt im Kleinen Katechismus etwas darüber, dass man die Predigt gerne hören solle. Wertschätzen steht zwar meine ich nicht direkt im Kathechismus, den die Meisten von uns ja eh nach dem Konfirmanden-Dasein wieder vergessen wenn der überhaupt im Unterricht behandelt wurde. Aber ja, eigentlich ist die Predigt ja der Kern des Gottesdienstes. Die Auslegung des Wortes Gottes. "Allein die Schrift" ist ja einer der Kernsätze unserer Kirche. Die Schrift erklärt sich aber nicht aus sich alleine sondern sie braucht die Verkündigung, die Auslegung. Das passiert in der Predigt am Sonntag. Und geben wir es zu: Da es vielerlei Gaben, aber ein Geist sind ist nicht jeder Pfarrer zum Predigt-Talent geboren worden. Dafür kann der vielleicht besser mit Jugendlichen umgehen, kann im Bereich der Kirchenmusik glänzen oder regt im Presbyterium glänzende Ideen an.

Was das Problem jetzt nicht löst in dem ich mich jetzt befinde: Da vorne predigt die Vertretung immer noch... Wenn der wenigstens einen roten Faden hätte, Anfang, Mitte, Ende, das lernt man doch schon in der Grundschule dass Geschichten sowas haben sollen und nichts anderes als Geschichten erzählt der momentan da vorne. Nette Anekdoten aus seinem Leben, die gewiß für Chronisten interessant sind aber nichts mit dem Text zu tun haben - außer er bekommt irgendwie noch die Kurve... Würde mich wundern.

Darf ich jetzt einfach das Verhalten von Barcamps übernehmen? Wenn mich dort eine Session nicht interessiert dann kann ich einfach gehen. Überhaupt: Ich kann ja auch so einfach gehen, oder? Was hindert mich daran hier zu sitzen, mir eine uninteressante Predigt anzuhören und mich zu Tode zu langweilen? Der Gottesdienst soll doch fröhlich sein, soll mich anstiften im Glauben, soll mir Impulse für die Woche geben - und wenn diese nicht gegeben werden, darf ich dann einfach mal so rausgehen? Ist es nicht sogar mein Recht darauf aufmerksam zu machen? Als Protestant zu protestieren?

Ja, ja, ja, vielleicht wäre das unhöflich. Radikal. Total gegen die Norm. Und man würde hinterher in der Gemeinde tuscheln. Möchte ich das wirklich? Andererseits: Wenn ich mich immer auf die Meinungen von Anderen verließe, verlasse ich mich am Ende doch nur selber. Oder bin ich hier zu egoistisch? Denke ich zur sehr an mich selbst und nicht an das, was ich verursache wenn ich gehe? Andererseits gäbe es ja noch den stillen Protest des "Ich mach jetzt einfach die Augen zu und ihr weckt mich wenn es wieder weitergeht." Wäre eine Option. Schnarche ich eigentlich wenn ich im Sitzen einschlafe?

Gottseidank, es ist vorbei mit der Predigtüblerei dort vorne. Das Dilemma ist erstmal gelöst. Und fürs nächste Mal nehme ich mir vor einfach mal in den Gemeindebrief zu schauen und zu gucken wer da vorne predigt. Denn wenn mir der Gottesdienst für meine geistliche Entwicklung nichts bringt kann ich ja auch zu Hause bleiben. Mit gutem Gewissen.

weitere Blogs

Altar mit dekoriert in Regenbogen-Farben
Für diesen Blogbeitrag habe ich ein Interview mit Lol aus Mainz geführt. Lol ist christlich, gläubig und non-binär. Nicht für alle christlichen Kreise passt das gut zusammen.
Von Zeit zu Zeit die Welt beobachten. Heute: mein Glaube in diesem November
Martinstag ist ein schöner Feiertag: die bunten Lichter im Novembergrau, die Martinsmänner, die Geschichte vom geteilten Mantel.... aber man kann noch viel mehr tun, als dieser Bischof von Tours.