Regionalbahn von Nürnberg Hbf, am allerhintersten Gleis 21: Richtung Ansbach. Der Zug hält an jedem besseren Gartenzaun. Endlich erreicht er den zentralen Umsteigebahnhof. Eine Grabesstimme verkündet durch den blechernen Lautsprecher: „Wicklesgreuth, Hier Bahnhof Wicklesgreuth. Sie haben Anschluss zum Zug nach Windsbach, durch die Unterführung.“ Früher fuhr auf dieser Linie der berühmte rote Schienenbus, heute doch ein sehr moderner Zug. Die Haltestellen: Petersaurach, Neuendettelsau – früher gab es noch eine Bedarfshaltestelle in Wernsbach – dann schon Windsbach, Endstation.
Wir aber beenden unsere Reise in einem der wohl bekanntesten Dörfer im kirchlichen Bereich überhaupt: Neuendettelsau. Während Altendettelsau gerade mal einen hervorragenden Karpfenbauern, eine abbiegende Vorfahrtsstraße und einen Teich mit Mini-Insel und Baum drauf vorweisen kann, dürfte Neuendettelsau wohl so ziemlich die größte Pfarrerdichte in ganz Bayern aufzuweisen haben – vielleicht kann München mit dem Landeskirchenamt noch mithalten, aber sicher ist das nicht.
Denn in Neuendettelsau ist eines der größten Diakoniewerke Deutschlands zu Hause. Gegründet 1854 von Pfarrer Wilhelm Löhe, bietet es heute zwei Behindertenheime, vierunddrölfzig Altenheime, ein Krankenhaus (in dem, ganz nebenbei, auch der Autor dieses Artikels zur Welt kam), eine eigene Kirche, eine Paramentenstickerei, eine Hostienbäckerei, eine normale Bäckerei, eine Metzger- und Gärtnerei, einen Kindergarten, ein Gymnasium und und und...
Aber das ist ja noch lange nicht alles: Von Neuendettelsau aus gründete auch Johann Flierl die Neuendettelsauer Mission im damals, um 1900, neu entdeckten Papua Neuguinea – der Grundstein des Neuendettelsauer Missionswerks, heute „Mission Eine Welt“, der Schaltzentrale für die internationalen Kontakte der bayerischen Landeskirche. Hier laufen die Fäden zusammen: Aus Papua Neuguinea, Tanzania, Brasilien – den Partnerkirchen Bayerns. Aber natürlich auch aus der übrigen Welt.
Noch nicht genug Kirche für ein kleines Dorf in Mittelfranken? Wir hätten da noch die Augustana-Hochschule, eine kirchliche Hochschule, gegründet 1947, an der angehende Pfarrerinnen und Pfarrer ausgebildet werden. Ach ja, und die Fachakademie für Sozialpädagogik, an der Erzieherinnen lernen. Ob die „Augustana-Bar“, eine Art selbstverwaltete Disco, der Grund dafür ist, dass relativ viele Pfarrersfrauen Erzieherinnen sind?
Die Augustana wird von Studierenden gerade in der Phase der Examensvorbereitung sehr geschätzt – denn hier gibt es wirklich wenig Ablenkung. Sie erinnern sich: Neuendettelsau – Petersaurach – Wicklesgreuth. Am Ende der Welt. Nowodettelsibirsk, sagten wir jedenfalls damals. Und doch mittendrin: Mit Menschen aus der ganzen Welt, die hier zusammenkommen. Mit Alten und Behinderten, die hier ihre Heimat finden. Ein ganz einmaliger Mix, den es wohl nirgends sonst gibt. Ach ja: Bis vor kurzem gab es hier auch noch eines der vier Predigerseminare in Bayern; mittlerweile wurde es allerdings aufgelöst.
Welche weltweite Bedeutung dieses kleine Dorf hat, beleuchtet wohl am besten eine kleine Anekdote, die aus dem Missionswerk erzählt wird:
Eine Delegation aus Papua Neuguinea war nach Deutschland gekommen. Einige Tage hatten sie in Hamburg verbracht, bevor sie nach Neuendettelsau kamen. Ständig baten sie darum, dass jemand ihnen „die Stadt“ zeigt. Schließlich erbarmte sich jemand, zeigte ihnen die Eisdiele, die Laurentiuskirche, die Dorfkirche und was es halt sonst so an Sehenswürdigkeiten in einem Dorf gibt. Die Gesichter der Delegierten aber wurden länger und länger. Schließlich kam heraus, was sie bewegte. Sie hatten gedacht: Wenn schon Hamburg so eine riesige Stadt ist, die doch in Papua Neuguinea kein Mensch kennt, wie groß muss dann erst Neuendettelsau sein?