Kirchenvorstandssitzung vor einigen Jahren in einer kleinen Kirchengemeinde irgendwo auf dem Land. Der jüngste der Kirchenvorsteher, 52 Jahre alt, ist begeistert von diesem Internet-Dings, das er gerade für sich entdeckt hat. In einem engagierten Plädoyer versucht er, seine Kollegen davon zu überzeugen: Wir brauchen das auch. Ja, klar, die Pfarramtssekretärin hat schon lange einen Internetanschluss, denn viele Verwaltungstätigkeiten können schon gar nicht mehr anders als online erledigt werden. Und die Email-Adresse ev.kirchengemeinde.hinter-und-vordertupfingen@online.de (Name von der Redaktion geändert) steht in jeder Ausgabe des Gemeindebriefs. Einmal hat sogar schon mal eine Familie per Mail nach einem Tauftermin angefragt. (Ja, die haben es wirklich geschafft, die Mailadresse korrekt abzutippen!)
Also: Der Bedarf ist eindeutig da. Wir brauchen eine eigene Webseite. Da ist ja jetzt jeder drin. Wir müssen das auch. In reger Diskussion wird die passende Domain gefunden. Sie wird, typisch Kirche, allen Ansprüchen gerecht und ist auch wirklich leicht zu merken: www.evangelisch-hintertupfingen-vordertupfingen-wumpelshausen.de.
Stolz macht sich der Verursacher der ganzen Aufregung daran, die Seite zu füllen. Mit allem, was ihm so einfällt. Schließlich weiß eh keiner so genau, was diese Internet-Benutzer so brauchen. Eine coole Wetter-App muss auf jeden Fall drauf. Die ist ja sozusagen interaktiv. Zeigt immer das aktuelle Wetter in der Gemeinde, für die, die gerade nicht zum Fenster rausschauen können. Web 2.0 sozusagen. Und, weil's da so schön ist, auch noch das Wetter im Lieblings-Urlaubsort des Webmasters. Die wichtigsten Nachrichten werden in Laufschrift auf den Browser geschickt, damit man sie auch wirklich nicht übersieht (Ja! Das gute alte Marquee!). Im Hintergrund der Seite ein Bild der Kirche, das sich immer wiederholt. Der Text ist zwar fast nicht lesbar deswegen, aber das Hintergrundbild macht natürlich den örtlichen Bezug deutlich. An der Seite des Webauftritts in einem eigenen Frame, blinken einige Buttons um die Wette. Sie werben für Spendenprojekte, die dem Webmaster wichtig sind, sowie für ungefähr 283 weitere absolut wichtige Websites, die unbedingt verlinkt werden müssen (natürlich nicht ohne den obligatorischen Hinweis, das Landgericht Hamburg habe verfügt, dass man sich von den Links und den Inhalten der verlinkten Websites distanzieren müsse).
Natürlich findet man irgendwo auch Angaben darüber, wie man die Gemeinde erreicht. Unter „Impressum“ sind vorbildlich Adresse, Email-Adresse und Telefonnummer aufgelistet. Die Email-Adresse ganz fachmännisch mit einem kleinen JavaScript verschlüsselt, damit diese Spambots sie nicht finden können. Und natürlich ein kleines werbefinanziertes Gästebuch dazu. Ach ja, mit einem Link zu Amazon hofft die Gemeinde aus ihrer ständigen Geldnot errettet zu werden. Angeblich hat sogar mal jemand ein Buch über diesen Link bestellt. Gewinn: 0,85 Euro. Der ganze Stolz des Webmasters ist aber ein Feld, in dem täglich die aktuelle Tageslosung eingeblendet wird. Einfach Top und auf dem neuesten Stand der Technik, diese Site.
Vier, fünf Jahre blinkt die Website nun vor sich hin. Der Webmaster ist mittlerweile nach Japan verzogen. Unter „Aktuelles“ wird man über die Gemeindetermine von vor zwei Jahren informiert. Der vor drei Jahren eingestellte Jugendtreff wirbt für seine Treffen. Die Fotos vom Gemeindefest sind auch schon vier Jahre alt. Leider weiß auch niemand mehr das Passwort für die Seite – geschweige denn, dass irgend jemand genug technisches Verständnis hätte, irgend etwas anzupassen, wenn man es denn hätte. Vielleicht ganz gut, dass die Domain doch nicht so leicht zu merken – und zu finden – ist.
Hätte der Webmaster sich damals ein wenig umgesehen – vielleicht wäre er damals schon auf die Angebote seiner Landeskirche gestoßen. Wir hier in Bayern haben es da gut: Unser Team von „vernetzte Kirche“ bietet eine ganze Reihe verschiedener Pakete für Kirchengemeinden in den unterschiedlichsten „Größen“ und für die unterschiedlichsten technischen Fähigkeiten an. Aber ach: Die evangelische Freiheit ist's, die uns dazu bringt, von so Dingen wie Corporate Design, zentraler Entwicklung und professionellem gemeinsamem Hosting abzusehen.
Da nehme ich auch mich selbst nicht aus. Ist es nicht auch liebenswert, wie jede Gemeinde mit ihren Möglichkeiten ins Netz geht? Wie jede Gemeinde ein anderes Bild abliefert – bunt und blinkend, fast steril, durchdesignt bis zum letzten Pixel? Dürfen wir dafür nicht auch mal ein wenig unprofessionell sein – aber menschlich?
Und nun: Das Wetter in Ouddorp.
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