Kirche im Web 2.0 – das war das Thema des Barcamps an diesem Wochenende in Frankfurt, über das an vielen anderen Stellen ja schon viel berichtet wurde. Schon im Vorfeld hatten wir uns im Forum darüber Gedanken gemacht: Wie könnte eigentlich ein Gottesdienst dieser Gruppe von extrem vernetzten Menschen aussehen? Wie ist es möglich, die Möglichkeiten der neuen Technik einzusetzen, aber nicht um der Technik willen, sondern als ein wirklicher Mehrwert für die Gruppe, die da gemeinsam feiert? Welche „Rückkopplung“ kann es mit dem Internet geben, mit Menschen, die eventuell auch von woanders mitfeiern, vielleicht zu Hause am Frühstückstisch?
Manche Erfahrung hatten wir ja schon gemacht und auch im Lauf des Barcamps darüber diskutiert. Da sind die Online-Andachten im Chat von evangelisch.de, die zunächst nur auf die Passionszeit beschränkt gewesen waren, nun aber jeden Donnerstag um 21:30 stattfinden sollen. Da war der Twittergottesdienst von Kollege Knut Dahl, der leider am Sonntagmorgen schon einen Gottesdienst im „Real life“ in seiner Gemeinde halten musste und nicht dabei sein konnte. Da waren viele Gespräche auch in anderen Sessions darüber, was im Netz möglich ist und was nicht. Klar war uns allen: Es gibt Grenzen. Taufe und Abendmahl kann es im Netz nicht geben, jedenfalls nicht aus unserer heutigen Perspektive. Gemeinschaft, auch liturgische Gemeinschaft, aber schon – das bestätigen die meisten, die schon einmal bei einer Chat-Andacht dabei waren. Klar war uns auch, dass das Web 2.0 die reale Gemeinschaft immer nur ergänzen, nie ganz ersetzen kann.
Ohne große Vorgaben lud ich dann kurzentschlossen zu einer „Session“ ein, in der der Gottesdienst vorbereitet werden sollte. Die 45 Minuten, die dafür zur Verfügung standen, waren natürlich viel zu kurz, aber sehr wichtig für den äußeren Rahmen.
Klar war: Dieser Gottesdienst soll ein realer Gottesdienst der Gemeinde vor Ort sein. Aber er sollte über Twitter gewissermaßen in die Online-Welt gestreamt werden, so dass Menschen überall daran teilnehmen können, wenn sie wollen. Aber das ist ja nur die eine Richtung – das kennt man im Prinzip nicht anders von Fernsehgottesdiensten oder auch von Veranstaltungen wie Jesus House, wo eine Predigt über Satellit in viele Orte übertragen wird. Das wäre nichts Besonderes, nur ein neuer Kanal. Doch Twitter, dachten wir uns, kann viel mehr: Es erlaubt eine ganz direkte Kommunikation. Und so kam unser armer Techniker Alex Schnapper dazu, während des Gottesdienstes gleich zwei Computer und zwei Beamer bedienen zu „dürfen“ (wozu er einen dritten Beamer aufgebaut hat, ist mir allerdings unklar geblieben). Auf dem einen „liefen“ die Texte ab, die wir im Gottesdienst beteten und hörten, auch zusammenfassende Tweets der einzelnen Sinnabschnitte der Predigt, die Kollege Alexander Ebel und ich hielten. Auf dem anderen wurden alle Tweets angezeigt, die mit #twigo (für „Twittergottesdienst“) gekennzeichnet waren. So konnten sich auch Menschen von „außen“ direkt am Gottesdienst beteiligen. Das jedenfalls war unsere Vorstellung.
Nicht ganz unüblich: Als es um die inhaltliche Vorbereitung ging, saßen die zwei Pfarrer wieder zusammen und überlegten. Zum Vorlesen der Fürbitten hatten sich aber dankenswerterweise zwei Leute bereit erklärt. Nun, so saßen wir eben nicht in der Äppelwoi-Kneipe (oder wie immer die Hessen ihren Apfelwein korrekt schreiben), sondern brüteten darüber, welcher Bibeltext etwas mit unserer Situation zu tun haben könnte und wie wir das im Einzelnen einsetzen könnten. Das Thema „Die Gemeinschaft der Eiligen“ war schnell gefunden, die Idee, dass zur echten „Gemeinschaft der Heiligen“, also der gesamten Kirche, auch die Rücksicht auf die nicht so Eiligen gehört, auch. Während wir noch am Inhalt arbeiteten, kamen schon die ersten Reaktionen auf unsere Ankündigung eines Twittergottesdienstes. Manche begeistert, erstaunlich viele schrieben „da bin ich in einem Real-Life-Gottesdienst“, mache äußerten sich auch kritisch: Kann das wirklich Gottesdienst sein? Soll das die Zukunft der Kirche sein? Ist das nicht Anbiederung, Moderne um jeden Preis? Dass wir uns über alle diese wichtigen Anfragen schon intensiv Gedanken gemacht hatten, konnten sie ja schließlich aus unserer kurzen Ankündigung nicht entnehmen, völlig klar.
Dann also der Sonntagmorgen. 9:30: Alex Schnapper baut noch besagten dritten Beamer auf. Ungefähr 9:32 geht es los mit dem Tweet, der für mich der wichtigste ist und zeigt, dass es eben kein Larifari ist, sondern eine ernst gemeinte Veranstaltung:
Gemeinsam lesen wir, Satz für Satz, den Text aus Philipper 2, die Verse 5 bis 11. Doch: Große Hürde! Das Rüberkopieren aus dem OpenOffice-Dokument nach Twitter dauert fürchterlich lange. Ich werde ungeduldig, fast ein wenig panisch: Premiere schon am Anfang gescheitert – an einer technischen Lappalie?
Ganz ruhig werde ich, als ich auf der Twitterwall die ersten Kommentare zu diesem technischen Problem sehe: „Wie gut, dass wir so lange Pausen haben. Entschleunigung durch Twitter.“ Ja, nun kann ich es auch genießen. Satz für Satz gehen wir den Text durch. Ganz langsam. Zeit, die Worte nachklingen zu lassen. Zeit, die wir Eiligen uns sonst oft nicht gönnen. Dabei hatten wir das Thema doch noch gar nicht angeschnitten...
Beim Sündenbekenntnis steigt dann auch noch die WLAN-Verbindung aus, so dass die „Menschen draußen an den Geräten“ einen Teil des Gottesdienstes nicht verfolgen können. Doch zum Glück: Zur Predigt sind sie wieder da. Zwei Stellen haben wir dezidiert dafür vorgesehenen, auf das zu reagieren, was wir da sagen. Doch die ganze Predigt wird begleitet von einem richtigen Twitterstream, von Gedanken der Menschen, die mit uns im Raum sind, genauso wie von Leuten, die irgendwo zu Hause beim Frühstück sitzen. So gut es geht, gehen wir darauf ein, lesen vor, kommentieren. Eine viel größere Reichhaltigkeit der Gedanken als wir es jemals selbst hätten ausdenken können. Eine fantastische Erfahrung.
Dann die Fürbitten: Sie erscheinen auf der Twitterwall, wir lesen sie vor. Ich freue mich wirklich sehr, als ein Beitrag von einer Person kommt, von der ich definitiv weiß: Sie sitzt irgendwo zu Hause und nicht hier bei uns. Alles das lesen wir vor, die „reale Gemeinde“ antwortet mit „Herr erbarme dich“, teilweise auch mit „Herr, wir danken dir“.
Dann: Vaterunser. Wieder ohne die „Twittergemeinde“. Segen. Noch ein Lied. Erst nach dem Lied ist das WLAN wieder da. Wir holen auf Twitter wenigstens noch den Segen nach und den Hinweis auf das Lied bei Youtube. So wird aus der Gleichzeitigkeit durch die Technik doch wieder eine Form der Nachzeitigkeit, doch ich glaube, das war nicht so schlimm.
Besonders interessiert haben mich natürlich die Reaktionen der Menschen, die den Gottesdienst „von außen“ verfolgt hatten. Die anderen hatte ich ja zumindest im Blick, doch wie war es denen ergangen, die nur die Tweets verfolgen konnten?
Manche waren begeistert und meldeten mir zurück, wie intensiv sie diesen Gottesdienst erlebt hatten. Anderen fehlte ein „spirituelles Element“. Wieder anderen war es zu nahe an ihrem täglichen Arbeitsgerät: „Mein Büro und vor allem der PC sind Bestandteile des alltäglichen. Im Gd möchte ich gerne davon ein Stück Distanz erleben.“ (@UMAX974) Doch vor allem die Möglichkeit der Interaktion und Kommunikation war für viele eine wunderbare Erfahrung.
Danke allen, die daran teilgenommen haben. Sicher gibt es noch vieles zu verbessern, nicht nur das WLAN. Sicher gibt es auch theologisch noch vieles zu fragen und zu hinterfragen. Was ist eine online-Gemeinde? Was ist ein Gottesdienst, was nicht? Aber ich glaube, es ist gut, dass wir neue Wege ausprobieren, testen, was uns hilft. Nicht um der neuen Wege willen. Sondern um der Botschaft willen, die auf diesen Wegen transportiert werden kann. Ich bin wirklich gespannt, was uns da noch so alles einfällt.
- Fotos von diesem Gottesdienst gibt es hier: http://www.evangelisch.de/community/galerie/laloupina/twandacht-twitterandacht-am-sonntag-morgen
- Hier können Sie die Tweets nachlesen, die - bis auf einige technisch bedingte Unterbrechungen - in Begleitung des Gottesdienstes gesendet wurden: http://www.citykirche-schweinfurt.de/gemeinschaft-eiligen