Rezepte

Geistvoll in die Woche
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Nach der Wahl: Tiefe Gräben und Brandmauer-Wunden. Was kann uns retten? Vielleicht ein Wunder

Ach, wäre es schön, jemand könnte uns ein Rezept ausstellen, das alle Wunden heilt. Ein unscheinbares, weißes DIN A6-Papier, auf dem steht: "Rp. für Deutschland". "Rp." bedeutet übrigens nicht Rezept, wie man meinen könnte, sondern "nimm". (Die Abkürzung kommt vom lateinischen "recipe".) Stellen wir uns also vor, eine Ärztin oder Arzt würde scheiben: Nimm dies und das, du schönes Land, und es wird alles wieder gut. Du wirst befreit, geheilt von deinen Qualen. Du wirst gesund.

Ach, wäre das schön.

Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der politisch so viele Wunden geschlagen wurden wie in den Wochen vor dem 23. Februar. In der so übel geredet, so harte Vorwürfe gemacht, so viel Schuld zugewiesen, so viel Häme verbreitet und so viel Gift versprüht wurde. Im Bundestag, im Wahlkampf. Gott sei Dank gab es Proteste, allein in München waren wir 300.000; bunt gemischt und jeden Alters, gut gelaunt und unbeugsam. 

Dann der Anschlag, auch in München. Doch statt Stille harte Worte. Wahlkampfworte, schon am selben Tag. Das blieb so bis zuletzt, als der mutmaßlich nächste Kanzler uns Demonstrant:innen als "linke Spinner" diffamierte, die nicht mehr "alle Tassen im Schrank" hätten und "nicht gerade denken" könnten. Respekt sieht anders aus.

Immer wieder fragte und frage ich mich, was soll nur werden nach der Wahl? Wie sollen die Gräben überwunden werden? Wer (außer der NoAfD) soll, wer will denn noch miteinander koalieren? Und im Privaten, in den Familien und im Freundeskreis: Wie können wir wieder zueinanderfinden, mit unseren Brandmauer-Verletzungen? Jetzt ein Rezept, das alles heilt. 

Ja, das wäre schön.

Aber so einfach ist das nicht. Einfach nachgeben. Einfach aufeinander zugehen. Einfach so tun, als sei nichts geschehen. Dabei vermute ich, dass sich alle danach sehnen. Nach Ruhe. Und Verständigung. Nach Versöhnung. Und Frieden. Doch ein Rezept habe ich nicht, ein Rezept für alle.

Einmal habe ich eines gefunden, für mich. Im Diözesanmuseum Freising. Ich war schon oft dort. Es erdet mich. Nein, das ist das falsche Wort. Es öffnet mir den Himmel. So war es auch kurz vor der Wahl.

Länger als sonst blieb ich bei einer Gestalt, die mir besonders ans Herz gewachsen ist, es ist "Christus in der Rast". Stephan Rottaler schuf die Figur um 1530, in Landshut. Ich mag alles daran. Jesu Haltung, seine Hände, sein erschöpftes Gesicht. Alles berührt meine Seele. 

Als ich dort stand, fiel mir ein Gedicht von Mascha Kaléko ein:

Zerreiß deine Pläne. Sei klug
Und halte dich an Wunder.
Sie sind lang schon verzeichnet
Im großen Plan.
Jage die Ängste fort
Und die Angst vor den Ängsten.

Das war es, was ich brauchte. Christus und diese Zeilen. Es war wie eine Rückkehr ins Leben, durch das Wunder des Glaubens. Zurück in mein Leben, mit Freundschaften, die halten, und Familien, die zusammenstehen. Mit Zuneigung, Respekt und offenem Himmel. Dafür benötige ich keine ärztliche Verschreibung. Dafür genügt manchmal ein kleines Gedicht. 

Das Gedicht heißt: "Rezept". 

 

Der Blog ist Menschen gewidmet, mit denen ich über Politik gestritten habe, vor der Wahl.

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