Überall lauert Sinn
Wir sind inzwischen Meister im Entlarven. Sagt jemand, er möchte zu den Enkeln nach Kapstadt fliegen, plädiert jemand für Flugscham. Mag jemand Wurstbrot am Abend, wird irgendjemand Krebs fantasieren. Alles sachlich richtig.
Erfindet jemand einen Impfstoff, ist er der Nebenwirkungen schuldig.
Als gäbe es überhaupt ein Leben ohne Nebenwirkungen. Oder ohne Schuld.
Man muss fragen: Wie weit trägt der Aufschrei, der die dunkle Seite eines Vorhabens ins Licht stellt?
Geht es hier um Wahrheit, oder geht es darum laut zu sprechen und das möglichst auffällig?
Was ist medialer Terror, der elitäres Sonderwissen beansprucht, und was ist kritische Würdigung?
Ich möchte aussteigen aus der Schreierei. Sie bestimmt mein Leben nicht.
Ich möchte wieder mehr würdigen, was gelingt. Und das ist eine Menge.
Ich bekomme Essen und Trinken. Menschen werden leidlich versorgt in diesem Land, wenn sie in Not sind. Ich darf sagen, was ich sagen will. Ich kann wählen. Ich kann normalerweise hingehen, wohin ich möchte. Ich hungere nicht. Ich esse gern die Würste eine befreundeten Pfarrers. Ich mag sie in die Hand nehmen, duftend und prall, Senf darauf tun oder nicht - und ambivalenzfrei reinbeißen. Ohne mediales Geschrei über die Herkunft, die Zukunft, die Schatten der Wurst als solcher. Ich leugne diese Schatten nicht, aber ich will wieder staunen, das jemand sich die Mühe gemacht hat, sie aus vielen kleinen Teilen zusammenzusetzen, zu pressen, zu räuchern, zu lagern, einzupacken, zu versenden. Ich mag der Post zuschauen, wie sie die Würste durch halb Deutschland trägt, über Förderbänder, an Lichtschranken und Sortierer*innen vorbei, in Wägen, auf Straßen, die befahrbar sind, gebracht von einem müden und dabei vergnügten Boten mit überraschten Augen wegen des Trinkgelds.
Es ist Zeit zu bewundern, dass und wie wir atmen. Dass der Körper das normalerweise einfach tut, ohne dass wir uns darum kümmern. Ohne zu fragen, was daran die Schattenseite oder die Weltbedeutung wäre.
Es gibt eine Erb-Gnade, also eine ererbbare Wohltat des Universums, seine unendlichen Versuche, dass etwas lebt und dass es gut wird. Daran sind auch Viren maßgeblich beteiligt.
Christlich wird man ein Gesicht hinter all dem vermuten. Das will mir Gutes. Es kommt auch mal in der Maske des Rätselhaften, aber es meint letztlich Heilsames. Wer es entlarvt, entdeckt nur die eigene Nacktheit.
Wie viel Verdacht ist wirklich nur nötig um geschützt zu leben? Wann hat man genug verdächtigt?
Haben uns die Entlarver den hellen Horizont bereits erfolgreich vernagelt?
Wer gute Absichten vermutet, erwärmt sich und andere.
Wäre es möglich sich für eine Stunde am Tag die Maske des Guten anzulegen?
Herauszulesen, was für ein feines Werk der Putz an meiner Schlafzimmerwand ist.
Auch zu denken, was dahinter für ein weiteres Gewebe dafür sorgt, dass ich sicher wohne. Und wer sich das ausgedacht hat.
Welche drei Dinge heute Freude bereitet haben.
Was an der Anweisung rechts zu fahren der tiefere Sinn sein mag.
Und einen Moment trotz allen Unwillens zu bedenken, welche gute Absicht hinter aktuellen EInschränkungen liegen könnte. Man muss sie ja nicht gut finden, aber man kann etwas Anständiges dahinter vermuten, wenigstens für drei Minuten.
Es lauert viel Sinn überall, viel gute Absicht und viel sinnige Lebens-Erfahrung.
Danke, Gott - du beginnst mir aufzugehen.