Aus dem Bücherregal (Teil 5)

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THEMENREIHE POLYAMORIE
Aus dem Bücherregal (Teil 5)
Heute werfen wir einen Blick in das bunte Regal der Literatur zu Polyamorie und konsensueller nicht-Monogamie.

Heute erscheint der fünfte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie**Nach einer grundsätzlichen Einführung in das Themazwei Interviews, einer theologisch-ethischen Betrachtung und eine Einführung in das Konzept der unsichtbaren Rolltreppe, folgt heute ein Einblick in das Feld der poly Literatur. Der Blogbeitrag meiner Kollegin Katharina Payk vom 06. November zu „Polyamorie in der Gemeindearbeit“ ist leider krankheitsbedingt verschoben worden und wird am 11. Dezember 2024 erscheinen.


 

Welche Bücher zu welchem Zweck?        

Als ich mich auf mein mündliches Examen zu dem Thema "Polyamorie als Herausforderung für eine evangelische Ethik" vorbereitete, musste ich feststellen, dass die zitierbare Literatur in der akademischen Welt sehr überschaubar ist. Neben dem kleinen Büchlein aus der Reihe von theorie.org konnte ich wenig Direktes zum Thema finden. Das hat sich mittlerweile leicht verbessert – zumindest in den Bezugswissenschaften (so etwa Michael Raab, 2019, Care in konsensuell-nichtmonogamen Beziehungsnetzwerken. Sorgende Netze jenseits der Norm.) Das Feld der Literatur zu Polyamorie bleibt aber weitestgehend dominiert von Ratgebern und how-to-Literatur. Das ist nicht weiter tragisch und zeigt den praktischen Orientierungs- und Informationsbedarf innerhalb der poly Community, wie sich Beziehungen jenseits der monogamen Norm leben und gestalten lassen. Dies ist natürlich eine Leerstelle für alle, die sich jenseits dieses Kontextes mit Polyamorie (weiter) beschäftigen wollen. Zugleich geben auch die Ratgeber einen Aufschluss darüber, welche Themen, Herausforderungen und Freiheitsdimensionen zentral sind und immer wieder verhandelt werden. Und sie sind hilfreich für alle, die vor der Aufgabe stehen, Beziehung im Plural gestalten zu wollen. Denn mit einer monogamen Sozialisierung im Gepäck und wenigen (kulturellen) Vorbildern funktioniert nicht immer alles aus dem Bauch heraus. Und da das Lernen von und im Dialog mit anderen nicht (ausreichend) durch gesellschaftliche Konventionen abgedeckt wird, ist der Blick in einen Ratgeber durchaus aufschlussreich. Darum möchte ich heute zwei der beliebtesten Bücher aus dem Regal der Polyamorie vorstellen. 

Polysecure von Jessica Fern 

Jessica Fern ist Psychotherapeutin und hält Vorträge rund um Beziehungen im Rahmen konsensueller nicht-Monogamie. Sie arbeitet zudem in ihrer Praxis mit Einzelnen, Paaren und poly Netzwerken, die Unterstützung und Begleitung auf ihrer Beziehungsreise suchen. 2020 erschien ihr Buch "Polysecure. Attachment, Trauma and Consensual Nonmonogamy", das mittlerweile auch in deutscher Übersetzung erschienen ist. 

In Polysecure führt Fern zunächst sensibel und umfassend in die Bindungstheorie nach John Bowlby und Mary Ainsworth ein. Diese hält fest, dass wir als Menschen Bindungswesen sind und von klein auf in ein Bindungsverhalten hineingestellt sind (attachment behavioral system). Dieses prägt sich – je nach den Erfahrungen mit unseren primären Bezugspersonen – in einem sicheren oder unsicherem Bindungsverhalten aus. Fern betont dabei immer wieder umsichtig, dass es sich bei dieser Kategorisierung um ein Instrument der Selbsterkundung handelt und warnt davor, vorschnell Identitäten aus diesen Analysekategorien zu zementieren. 

Die ursprüngliche Bindungstheorie von Bowlby/Ainsworth ist schlicht gesagt mononormativ ausgerichtet und zielt auf sichere Beziehung in einer monogamen (heterosexuellen) Ehe ab. Diese Engführung bricht Fern auf, indem sie die Bindungstheorie im Kontext der konsensuellen nicht-Monogamie anwendet und entsprechend erweitert. Fern zeigt sich dabei geschult im Umgang mit der Vielschichtigkeit von Trauma und traumatischen Erfahrungen. 

Aus ihrer eigenen Erfahrung und Tätigkeit als Therapeutin und Paarberaterin entwirft sie eine how-to-Anleitung. So können die in der Bindungstheorie gewonnen Erkenntnisse im Kontext der Mehrfachbeziehungen angewendet werden. Gerade dieser letzte Teil ist besonders aufschlussreich für jede*n Leser*in. Der Ansatz von Fern ist in meinen Augen über den Kontext von Polybeziehungen hinaus gewinnbringend zu lesen und auf die eigenen Beziehungen im Leben anwendbar. Empfehlenswert für alle, die sich mit Beziehungen und Bindungsverhalten tiefer beschäftigen wollen und dabei auf die klassische Engführung auf die monogame Zweierbeziehung verzichten wollen. 

More Than Two von Franklin Veaux und Eve Rickert

Das 2014 erschienene Buch "More Than Two. A practical guide to ethical polyamory" ist – wie der Untertitel nah legt – eine Art Anleitung und Einführung für alle, die sich das Thema Polyamorie und konsensuelle nicht-Monogamie für das eigene Beziehungsleben erschließen wollen. Diese Anleitung umfasst fünf Teile. Zunächst bauen Veaux/Rickert die gängigsten Vorurteile und Klischees gegenüber Polyamorie ab und beschreiben, was für sie wesentlich zur ethischen Polyamorie dazu gehört. Im zweiten Teil statten die Autor*innen die Lesenden mit einem Werkzeugkoffer aus. Darin findet sich allerlei zum Thema Selbstfürsorge, Kommunikationsfallstricke und -übungen sowie die Frage nach einem konstruktiven Umgang mit dem Thema Eifersucht. Der dritte Abschnitt behandelt die Frage, welche Rahmenbedingungen polyamore Netzwerke und Mehrfachbeziehungen haben können, wenn sie auf die konventionelle sexuelle und romantische Exklusivität verzichten. Welche Absprachen können getroffen werden? Wie ist das mit dem Thema Grenzen und dem Wahren von Intimsphäre? Was gibt es für praktische Tipps und Tricks und worauf kann geachtet werden? Der vierte Abschnitt beschäftigt sich mit Themen aus der gelebten poly Wirklichkeit: Was kommt auf mich zu, wenn ich mich z.B. in der Schanierposition zwischen zwei Beziehungen wieder finde? Wie navigiere ich diese Position? Was erwartet uns als Paar, wenn wir uns öffnen wollen? Wie funktionieren Beziehungen zwischen einer Person, die gerne monogam leben möchte und einer polyamoren Person (sogenannte MonoPoly-Beziehungen)? Worauf ist bei verantwortlicher sexueller Gesundheit im Plural zu achten? Der fünfte und letzte Abschnitt widmet sich dann der Vogelperspektive auf das Ökosystem eines poly Netzwerkes: Wie ist das mit den Partner*innen meiner Partner*in? Wie funktioniert Dating? Und was ist mit dem gesellschaftlichen Außenblick und das Thema Coming-out? Dieses Buch umfasst umfangreiche Ressourcen und kluge Binnenperspektiven auf das Thema Polyamorie. Wer einen Blick in diese Welt – samt ihren Herausforderungen und Freiheitsdimensionen – gewinnen möchte, findet hier einen guten ersten Dialogpartner. 

 

So geht es weiter: 11. Dezember 2024 „Polyamorie in der Gemeindearbeit“ 


**Themenreihe Polyamorie

Die Leerstelle in Theologie und Kirche hinsichtlich der Beschäftigung mit Polyamorie und ethisch gelebter nicht-Monogamie wollen wir in den kommenden Wochen und Beiträgen mit unserer "Themenreihe Polyamorie" füllen. Dazu haben Katharina Payk, ebenfalls für kreuz & queer schreibend, und ich uns zusammengetan. Katharina Payk ist evangelische Pfarrerin in Wien und arbeitet als Hochschulseelsorgerin vor allem mit jungen Menschen. Sie ist im Vorstand des Vereins "EvanQueer – queere Menschen in der Evangelischen Kirchen Österreichs" sowie Vorsitzende der Gleichstellungskommission der Evangelischen Kirche in Österreich. Ich bin wissenschaftliche:r Mitarbeiter:in an der Universität Hildesheim und forsche und promoviere dort in der Systematischen Theologie zum Thema Queer Theologies. Zudem bin ich Pfarrperson im Ehrenamt der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und im Team der queersensiblen Seelsorge in Hannover tätig.

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