Queertopia - Wie sieht befreites queeres Leben aus?

Wolfgang Schürger
Screenshot der Seite der ARD-Mediathek zu Queertopia
Kreuz & Queer
Queertopia - Wie sieht befreites queeres Leben aus?
Vieles, was vor Jahren noch Utopie zu sein schien, ist heute Realität. Doch längst nicht alle Queers fühlen sich in der aktuellen Community geborgen. Christliche Queers könnten dazu beitragen, dies zu verändern.

Die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare, Trauungs- und Segnungsfeiern in den Kirchen, das gemeinsame Leben eines queeren Paares im evangelischen Pfarrhaus, Kinder in einer queeren Familie - Vieles, das vor zwanzig oder dreißig Jahren noch Utopie zu sein schien, ist heute Wirklichkeit geworden.

Doch der Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung hat in den Seelen vieler Queers Spuren hinterlassen. Die Arbeitsgemeinschaft Schwule Theologie e.V. lädt männlich zu lesende Queers dazu ein, sich bei der Jahrestagung vom 11. bis 13. Oktober 2024 damit zu beschäftigen, welche Spuren diese Kämpfe in der eigenen Spiritualität hinterlassen haben und wie eine christliche „Queertopia“, eine befreite queere Spiritualität, aussehen könnte.

Angeregt zu der Frage nach der christlichen Queertopia wurde der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft durch die gleichnamige, bis jetzt vierteilige Serie (angekündigt als „Staffel 1"), die der Hessische Rundfunk (HR) im Frühjahr 2023 ausstrahlte und die in der ARD-Mediathek nach wie vor verfügbar ist. Satya Marchand, Autor und Regisseur der Serie, will damit die Geschichten und Herausforderungen der queeren Community in Deutschland sichtbar machen und auf gesellschaftliche Missstände hinweisen.

Die Inhalte der einzelnen Folgen:

Folge 1: "Out und Queer" - Diese Episode befasst sich mit den alltäglichen Kämpfen und Diskriminierungen, denen queere Menschen in Deutschland ausgesetzt sind. Wir erfahren persönliche Geschichten und Schicksale, die einen tiefen Einblick in die emotionalen und sozialen Herausforderungen bieten.

Folge 2: "Selbst und Bestimmung" - Im Mittelpunkt dieser Folge stehen verschiedene Transpersonen und ihr Weg zum Selbstsein.

Folge 3: "Erfüllung" - Diese Folge widmet sich den unterschiedlichen Facetten der Liebe innerhalb der queeren Community. Sie stellt romantische Beziehungen, aber auch die Schwierigkeiten dar, die mit der Suche nach Liebe und Akzeptanz verbunden sind. So gehört Leder zur Identität von Thomas dazu. Aber toxische Männlichkeit erregt nicht nur manch schwulen Mann. Und was macht Menschen eigentlich zu dem, wer sie sind oder sein wollen? Was macht sie „queer“? Wie denken, fühlen, handeln, sprechen oder lieben sie? Und was bedeutet eigentlich männlich, weiblich, fluid, wenn man sich mit einer Hundemaske doch viel wohler fühlt?

Folge 4: "Nullachtfünfzehn" - „Normalität“ und Dazugehören sind Themen, die sich durch diese Folge ziehen - von der queeren Kleinfamilie bis bin zum Platz von Menschen mit Beeinträchtigungen in der Community..

Es braucht etwas Standhaftigkeit, um die vier Folgen von vorne bis hinten anzusehen, denn die Regie setzt auf filmischen Minimalismus, sodass die verschiedenen Personen zwar in ihrem Lebenskontext zu sehen sind, aber im Wesentlichen in Interview-Form beziehungsweise durch eigene Statements zu Wort kommen. Das kann durchaus langatmig werden.

Queertopia ist für mich vor allem deswegen dennoch sehenswert, weil Satya Marchand eine wirklich breite Palette von Menschen vorstellt - und in deren Statements sehr schnell deutlich wird, dass auch in der aktuellen Community noch lange nicht Gleichberechtigung und Akzeptanz für alle Formen queeren Lebens erreicht ist.

Bedrückend deutlich wird dies in Folge 4, wenn der aufgrund einer Muskeldystrophie nahezu vollständig gelähmte Manfred davon spricht, dass für Menschen wie ihn kein Platz sei in der queeren Community. Ganz ähnlich klingt das bei dem kleinwüchsigen schwulen Schauspieler Erwin, der zwar im Theater absolut erotische Szenen produziert, im realen Leben aber ebenfalls keinen Platz in der Community findet.

Ich bin überzeugt, dass wir auf dem Weg zu einer christlichen Queertopia diese Statements nicht überhören können: In Jesus Christus ist deutlich geworden, dass Gottes Zuwendung vorbehaltlos jedem Menschen gilt - das ist protestantische Grundüberzeugung. Daher sehe ich gerade uns christliche Queers in der Verantwortung, in der Community immer wieder dafür Sorge zu tragen, dass Menschen hier Raum haben, die (meinen) queeren (Schönheit-)Idealen nicht entsprechen, sich aber genau wie ich der queeren Community zugehörig fühlen.

Oder um auf Thomas aus der Folge 3 zurück zu kommen: Wie kann ich meine Männlichkeit (als Ledermann) annehmen und ausleben und zugleich anerkennen, dass sie für andere Queers toxisch, gefährdend wirken kann? Welche Wege finde ich, dieser Toxizität zu begegnen?

Wer nun Lust zu Weiterdenken bekommen hat, sei eingeladen ins Waldschlösschen, die Anmeldung ist noch bis 18. August möglich!

Links:
Zu den Folgen von Queertopia in der ARD-Mediathek
Zur Jahrestagung der AG Schwule THeologie e.V.

weitere Blogs

In den USA sind manche Schnellrestaurants durchaus religiös.
... darüber dass Schönheit nicht aufhört
In Kleve wurden gestohlene sakrale Gegenstände wiedergefunden – durch einen Zufall