Ein queerer Blick auf Körper in der Passionserzählung

Drei Kreuze mit Regenbogenfarben
Gerd Altmann/Pixabay / Canva (M)
Die queer-theologische Bloggerin Sonja Thomaier schaut sich zu Ostern die Körperkonfigurationen zu Kreuz und Auferstehung an.
Rise up!
Ein queerer Blick auf Körper in der Passionserzählung
Körper sind ein zentrales Thema in den Passionserzählungen. Eine gute Gelegenheit, einen Blick in eine queer-theologische Körperkonfigurationen zu Kreuz und Auferstehung zu werfen.

Wir befinden uns mitten in der Karwoche. In dieser werden in den Kirchen die letzten Tage aus Jesu Leben vergegenwärtigt. Die Geschichten scheinen dabei keine menschliche Emotion außer Acht zu lassen – von der Anfangseuphorie über den Verrat und die Trauer bis hin zur Überraschung und dem Staunen. Diese Gefühle hängen natürlich nicht im luftleeren Raum, sondern sie wurden (und werden) verkörpert. Körper das ist ein zentrales Thema in den Passionserzählungen. Eine gute Gelegenheit einen Blick in eine queer-theologische Körperkonfigurationen zu Kreuz und Auferstehung zu werfen. 

Karfreitag oder Matan a una Marica

Wir fangen an, wie sollte es bei einer queer-theologischen Betrachtung anders sein, mit Marcella Althaus-Reid. Der Denkerin, die spätestens seit den 00er Jahren wie keine andere mit queerer Theologie verbunden ist. So ist es also kein Wunder, dass sie in dem 2006 erschienen Werk "The Queer Bible Commentary" mit einem Artikel zum Markusevangelium auftaucht. Hier verwebt Althaus-Reid die Geschichte eines brutal ermordeten Schwulen mit dem Leben und Sterben Jesu Christi.

Althaus-Reid klopft in ihrem Arbeiten immer wieder alltäglich gelebtes Leben marginalisierter Personen nach Kreuzigungs- und Auferstehungserfahrungen ab, um damit G*tt neu zu mustern. Cruci/fiction nennt sie dies. Kruzi/fiktion lässt es sich übersetzen. Es ist ein Wortspiel aus crucifixion (Kreuzigung) und fiction (Dichtung). Eine solche cruci/fiction steht auch im Zentrum des Markusbeitrags. Matan a una Marica ("Sie töten/töteten eine Schwuchtel") so heißt der Essay des queeren argentinischen Schriftsteller Néstor Perlongher, den sie als Fluchtpunkt ihrer christologischen Deutung wählt. Der Essay erzählt von einem toten Körper, der in vollem Drag-Ornat auf dem Panamerican Highway gefunden wird, hingerichtet von einem System sexualisierter Gewalt gegenüber queeren Körpern und ermordet von… ja, vom wem? Der Polizei bei einer ihrer regelmäßigen Razzien? Oder einem Freier, der auf dem Highway nach der billigen Verfügbarkeit von Körpern sucht? Die Frage wird nicht aufgelöst. Althaus-Reid verknüpft jedoch die Bildmotive mit der Markuserzählung virtuos. Da ist die Panik der Polizisten, die die tote Person auf dem Highway finden und ihr Gesicht – vielleicht aus einer lokalen Berichterstattung – wiedererkennen und ausrufen "Verdammt, die Verrückte war berühmt". In diesem Ausruf erkennt Althaus-Reid die messianische Panik des römischen Soldaten unterm Kreuz wieder "Verdammt, die Verrückte war wirklich Gottes Sohn." Auch die Frage nach dem Verschwinden (-Lassen) des Körpers wird mit der Passionserzählung verknüpft. In den Freund:innen, die in den nächsten Tagen nach ihrer Vermissten fragen werden, sieht Althaus-Reid Maria Magdalena, die fragt "Was hast du mit dem Körper meines Geliebten gemacht?" Und vielleicht sind es diese Freund:innen, die Bilder und Portraits von der toten Person vervielfältigen und verteilen werden, als wäre sie niemals gestorben. 

Für Althaus-Reid ist die Suche nach Christus in der Schrift ein offenbarender, unabgeschlossener, vergegenwärtigender und gemeinschaftsbasierter Akt. Der Sinn liegt nicht in der gaffenden Betrachtung geschundener queerer Körper (wobei dies durchaus über den Rückgriff auf die Boulevardpresse kritisch markiert wird). Dem geschundenen Körper des Schwulen in Drag, samt seiner Weiblichkeitsperformanz, wird die Dignität des jesuanischen Körpers zugesprochen, während gleichzeitig der Tod in seiner Grausamkeit nicht verschleiert wird. Im Gegenteil, der Tod mit allen tödlichen Strukturen muss – so Althaus-Reids Grundthese – enthüllt werden, nur so lässt sich die Kraft finden, ihnen entgegenzutreten. Im Aufspüren christologischer Spuren in queeren Lebensgeschichten passiert aber noch etwas anderes. Es wird zugleich aufgedeckt, mit welchen Konstruktionen unsere Jesusdarstellungen bzw. Kruzifixe arbeiten: Dort hängt der anständig gemachte, allermeist weiße und weitestgehend saubere Körper Jesu am Kreuz, samt seiner impliziten Männlichkeit und zölibatären Heterosexualität. Althaus-Reid lädt uns ein, G*tt neu und anstößig zu denken, jenseits dessen, was sie "Vanilla Systemtic Theology" nennt.

Das Markusevangelium endet mit dem Schweigen derjenigen, die das leere Grab verlassen. Wird der queere Jesus also nun auferstehen? Ja, er ist auferstanden und er wird es immer wieder tun oder in den Worten Althaus-Reids: "Ich gehöre zu einer Community von Menschen, die denkt, dass ja, die Auferstehung des Queeren Gottes nicht nur möglich ist, sondern schon Realität. Der Queere Gott ist präsent in jeder Gruppe oder Individuum, das immer noch wagt zu glauben, dass Gott vollkommen präsent ist unter den Marginalisierten, die die engen Grenzen sexueller und politischer Ideologie überschreiten. Denn Gott "comes out" von der heterosexuellen Theologie, wenn die Stimmen von sexuell Andersdenkenden sprechen, Gott "comes out" zu den Kirchen, in dem Wagnis die sexuellen Ideologien in der Theologie zu enthüllen, in dem Wagnis zu lieben mit Integrität in einer Welt, in der Liebe zur Ware geworden ist. In der Tat, in jeder Community der Ausgeschlossenen und in jedem Zentimeter Kampf für sexuelle und ökonomische Gerechtigkeit manifestiert sich die Gottheit des Queeren Gottes in Ruhm, Kraft und Gnade." (Althaus-Reid, From Feminist to Indecent Theology, 176, Übersetzung ST). 

Oder kurz gesagt: Es ist Ostern, so rise up!

Eine kritische Anmerkung möchte ich am Schluss noch hinzufügen. Ich habe mich in dieser Wiedergabe dafür entschieden, Althaus-Reids Darstellung auf die Geschichte einer schwulen Dragqueen hin zu vereindeutlichen. Das gibt nicht nur ihr Beitrag her, sondern auch ihre ursprüngliche Widmung des Artikels an den schwulen Theologen Robert Shore-Goss. Allerdings schillert Althaus-Reids Darstellung zwischen der schwulen Dragcommunity und der trans* Community. Das ist sicherlich ihrem eigenen zeitlichen Kontext und der historischen Überschneidung beider Communities geschuldet. Wenn Althaus-Reid in ihren Arbeiten trans* Geschichten porträtiert (was in meinen Augen nicht immer eindeutig ist), drängt sich mir zunehmend die Vermutung auf, dass sie diese weder angemessen zu erfassen vermag noch mit einer ähnlichen Dignität versieht, wie anderes queeres Story Telling in ihrer Arbeit. Das ist eine vorläufige Arbeitshypothese. Es wäre in meinen Augen wichtig, Althaus-Reids Arbeit einmal genau auf diese Frage hin zu untersuchen und entsprechend transparent zu machen, gerade weil sie die wegbereitende Stellung innerhalb queerer Theologie hat.

Wer den Beitrag lesen möchte, findet ihn hier: M. Althaus-Reid, Mark, in: D. Guest/R. Goss/M. West/T. Bohache, The Queer Bible Commentary, London 2006, 517–525.

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