Ende Mai postete eine Freundin einen kurzen Video-Clip bei Facebook. Er zeigt, wie Reinigungskräfte einen regenbogenfarbenen Zebrastreifen in der Innenstadt von Wiesbaden säubern. Angebracht worden war der Regenbogenstreifen im Auftrag des Dezernats für Gleichstellung anlässlich des jährlichen Christopher Street Days (CSD) in der Stadt. Kurz darauf wurde er mit dunkler Farbe beschmiert. "Der Hass und die Häme in den sozialen Medien über die sogenannte Straßenverkehrsordnung, die Steuerverschwendung und 'Woke-Kultur' waren immens", schrieb die Freundin dazu. (Zur Festnahme eines Tatverdächtigen: Bericht auf queer.de).
Und es bleibt eben nicht bei Schmierereien. Erst letzte Woche wurden zwei junge Menschen, eine nicht binäre 18-jährige Person und ein 17-jähriger trans Mann auf dem Rückweg vom CSD Hannover körperlich attackiert und bestohlen (Bericht tagesschau.de). Und nein, Übergriffe dieser Art sind längst kein Einzelfall mehr - waren es auch noch nie. Selbst wenn man an vielen Orten dieses Landes durchaus unbehelligt schwul, lesbisch, bisexuell, trans*, queer leben kann, diese Übergriffe in ihrer jahrzehntelangen Summe sind - um es sehr zurückhaltend zu formulieren - das Hintergrundrauschen (nicht nur) queeren Seins.
Die Zeiten scheinen nach der überstandenen Corona-Epidemie (wieder?) rauer zu werden. Die gerade den CSD-Paraden so gerne attestierte "Schrillheit" beschreibt aktuell eher das Gebaren von politisch rechts bis weit rechts. Es ist - nicht nur in der CSU, wo man derzeit die Nähe des queerfeindlichen Gouverneurs von Florida sucht (Bericht rnd) - woke geworden, gegen Wokeness zu sein, es wird gerne gecancelt, um die behauptete Cancel Culture zu stoppen. Aktuell versucht die AfD, angeblich patriotischen Stolz gegen den Pride Month auszuspielen, er gehöre "in die Tonne". Die Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold sollen gegen die Farben des Regenbogens in Stellung gebracht werden - mit Nachdruck: "Runter mit der Regenbogenfahne", twittert eine AfD-Politikerin.
Haben die anhaltenden Versuche, homosexuelles, queeres Leben zu verunglimpfen, Erfolg? Verfangen die endlos wiederholten Phrasen von der "Frühsexualisierung", vom "Gendergaga"? Bleibt, wenn man nur beständig die Anliegen anderer lächerlich macht und beschmutzt - um im Bild des oben beschriebenen Vandalismus zu bleiben -, irgendwann auch was hängen? Möglicherweise ja.
Eine Studie des Markt- und Meinungsforschungsinstitut Ipsos (Link) kommt zu dem Schluss, dass die Akzeptanz für die Ehe für alle und Regenbogenfamilien in Deutschland stark gesunken sei - um 6% im Vergleich mit der Umfrage von 2021. In Sachen Toleranz und Akzeptanz bleibt, so lassen sich Details zusammenfassen, im Vergleich zu anderen Ländern in Deutschland durchaus noch Luft nach oben. Aber auch diese Ergebnisse sind vor einem Hintergrund zu sehen - und der ist dann auch wieder eine gute Nachricht:
Noch immer sind 62% der Befragten für die gleichgeschlechtliche Ehe. 68% finden, dass gleichgeschlechtliche Eltern ihre Kinder genauso erfolgreich großziehen können wie nicht gleichgeschlechtliche Eltern - und befürworten darum auch ein Adoptionsrecht. Und selbst wenn es um trans Personen geht, wo laut Studie die größten Vorbehalte herrschen: Auch hier sprechen sich zwei Drittel dafür aus, dass trans Personen vor Diskriminierungen geschützt werden sollen.
Wenn jetzt also vielerorts auf welche Weise auch immer der Pride Month, der Christopher Street Day, das queere Straßenfest gefeiert wird, dann wird möglicherweise oft nur das "Fröhlich-Bunte" gesehen und übersehen, dass der Weg dorthin mühsam war und für viele immer noch mühsam ist. "Counting your blessings is better than counting your scars!" Trotzdem bleibt unverändert viel zu tun. Vor allem: sichtbar bleiben; sich nicht von Versuchen, das Rad zurückzudrehen, entmutigen lassen; auf die Kraft der Aufklärung vertrauen; die Gemeinschaft und die Solidarität mit all jenen suchen, die die Vision eines friedlichen, wertschätzenden, demokratischen Zusammenlebens teilen. Dafür um Segen zu bitten, um Kraft zu schöpfen für das, was vor uns liegt, auch dafür sind die "queeren" Gottesdienste da.
Auswahl an Gottesdiensten im Umfeld von CSD-Feiern:
Düsseldorf, Fr., 9. Juni 2023: Gottesdienst zum CSD; Motto: "Gemeinsam lohnt sich! Geschwisterlich zum Ziel"; Neanderkirche, Bolker Straße 36; 17 Uhr (Link)
Dresden, Fr., 9. Juni 2023: Geistlicher Programmpunkt zum CSD; "Wer bin ich, dass …"; gestaltet wird der Tagesausklang von der Gruppe Queer und Christlich in Dresden; Dresdner Kathedrale (ehem. Kath. Hofkirche), Schloßstraße 24, 23 Uhr (Link)
Oldenburg, So., 11. Juni 2023: Gottesdienst zum CSD Nordwest; Motto: "Gott, ich danke Dir, dass ich wunderbar gemacht bin – ich bin inter*"; St. Lamberti-Kirche, Markt 17; 10 Uhr (Link)
Wien, Do., 15. Juni 2023; Pride Prayer "Together we rise - for justice" (gemeinsam veranstaltet von Queer Glauben Wien und MCC Wien), Altkatholische Kirche St. Salvator, Wipplingerstraße 6, Wien, 1010; 19 Uhr
Zürich, So., 18. Juni 2023: Ökumenischer Pride Gottesdienst; Motto: "Du bist ein Gott, die mich sieht"; Kirche St. Peter und Paul, Werdstrasse 63; 14 Uhr (Link)
München, Sa., 24. Juni 2023: Ökumenischer CSD-Gottesdienst in St. Lukas am Mariannenplatz; Motto: "Macht queer seine* Straßen!", 10 Uhr (Link)
Köln, 7. Juli 2023: CSD-Gottesdienst; Christuskirche, Dorothee-Sölle-Platz 1; 18:30 Uhr. Die Queere Kirche Köln will in diesem Jahr erstmals mit einer Gruppe auf dem Kölner CSD am 9.7. dabei sein. (Weitere Infos)
Kiel, So., 9. Juli 2023: CSD Gottesdienst; "Um die Vielfalt zu feiern und sie ausdrücklichster den Segen Gottes* zu stellen, schließt der CSD mit einem gemeinsamen Gottesdienst ab"; St. Ansgarkirche, Holtenauer Straße 89; 17 Uhr (Link)
Berlin, Fr., 14. Juli 2023: Ökumenischer Eröffnungsgottesdienst zum 29. lesbisch-schwulen Stadtfest Berlin; Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg; 19:30 Uhr (Link)
Berlin, Fr., 21. Juli 2023: Gottesdienst am Vorabend des CSD und Verabschiedung von Superintendent Dr. Bertold Höcker; St. Marienkirche, Karl-Liebknecht-Str. 8, Berlin-Mitte; 18 Uhr (Link)
Stuttgart, Mi., 26. Juli 2023: Ökumenischer Gottesdienst zum CSD- Stuttgart unter dem Motto "Jesus liebt queer"; Leonhardkirche, Leonhardsplatz 26, 19 Uhr (Link)
Mainz, Fr., 28. Juli 2023: Ökumenischer Gottesdienst zum CSD (veranstaltet von Studierendengemeinde der KHG & ESG sowie Queer in Church Mainz), Bühne Schloss-Innenhof, Peter-Altmeier-Allee 9; 17 Uhr (Link)
Hamburg, So., 6. August 2023: Gottesdienst zum CSD mit Abendmahl; Motto: „Die stille und die schrille Seite“; St. Pauli Kirche, Pinnasberg 80, 11 Uhr (Link zum Kalender)
Nürnberg, So., 6. August 2023: CSD-Festgottesdienst mit Abendmahl; St. Jakob - Jakobskirche, Jakobsplatz 1, 11:30 Uhr (Link zum Kalender)
Alle Angaben ohne Gewähr! Die Gottesdienste finden in der Verantwortung der jeweiligen Veranstalter statt.