Das große Ganze - Queere Community ist wichtig. Kirche auch.

Einstehen für LGBTIQ-Rechte und einstehen für die Kirche.
Das große Ganze - Queere Community ist wichtig. Kirche auch.
Die hohe Zahl der Kirchenaustritte löst Sorge und Traurigkeit aus. Aber Kirche wird es weiter geben, nur anders.

Seit mehr als 15 Jahren setze ich mich für queere Anliegen ein. Neben dem direkten politischen Einsatz ist es auch das Engagement im Privaten und Beruflichen, das mich zur Aktivistin macht. Keine Woche ist seither vergangen, in der ich nicht zu allen Tages- und Nachtzeiten Begriffe und Lebensweisen erklärt habe und für den Kampf für LGBTIQ-Rechte sensibilisiert habe. Zu all dem ist mittlerweile ein weiteres Anliegen von mir hinzugekommen: der Einsatz für „meine“ Kirche. Dass mir dieser einmal so wichtig wird, hätte ich früher nicht zu träumen getraut.

Denn dafür, dass ich Zeit meines Lebens – bis auf einen persönlich wichtigen Exkurs in andere Religionsgemeinschaften in meiner Jugend – dem christlichen Glauben zugehörig war und schließlich mit Leib und Seele Theologin wurde, kam ich doch erst spät drauf, welche Bedeutung die Kirche für mich hat.

Kirche hatte in meiner Wahrnehmung davor immer etwas unveränderlich Verstaubtes. Dieses ewig Gestrige äußerte sich für mich in unzugänglicher traditioneller Liturgie und kirchlichen Role Models, die für mich keine waren. War man brav, unauffällig und angepasst, konnte man zur Kirche gehen. Für eine Freak wie mich, war da kein Platz – so sehr man mich auch einlud, es gab niemanden dort, bei dem ich mich nicht hätte verstellen müssen. Also lebte ich – selbst als Theologiestudentin – meinen Glauben überwiegend alleine oder mit ausgewählten Freund_innen.

Gleichzeitig wuchs meine Sehnsucht nach der christlichen Gemeinschaft, der größeren eben. Eigentlich war es die Sehnsucht, zu dieser Kirche zu gehören, über die ich theologisch, historisch und persönlich so viel wusste. Hin und wieder besuchte ich also wieder Gottesdienste, und wurde abermals enttäuscht: Kirchensprech und dröge Figuren ennuyierten mich. Hinzu kamen ableistische und queerfeindliche Aussagen im Gottesdienst, die vielleicht sogar das Gegenteil meinten und „etwas Gutes“ wollten, aber bei mir nur das Bild bestätigten: Die bewegen sich nicht!

Nun bin ich länger schon ein Teil von „denen“. Ich habe Pfarrer_innen kennengelernt, die mir beeindruckende Role Models wurden und mir das Gefühl gaben, willkommen und erwünscht zu sein in dieser Kirche. Und seit ich selbst Pfarrerin bin, hat sich für mich noch einmal mehr gewandelt. Ich bin überzeugt von der evangelischen Kirche – als Ort von Tradition und Wandlung, von Vielfalt und Gemeinschaft, Zwiegespräch und Zusammenhalt. Und von der Idee, dass Kirche ein alternativer Ort sein kann, der jenseits von Leistungs-, Schönheits- und Konsumwahn wohltuend und spannend sein kann. Ohne diesen Ort möchte ich jedenfalls nicht mehr leben.

Bevor ich die Kirche für mich entdeckte, waren (und bleiben!) andere Szenen und Gemeinschaften für mich wichtig: die feministischen und die queeren etwa. Dort erfuhr ich, was Solidarität und Selbstermächtigung bedeutet. Lange Zeit habe ich nichts über die LGBTIQ-Community kommen lassen. Heute geht es mir – bei aller berechtigten Kritik und Verbesserungswünschen – mit „meiner“ evangelischen Kirche oft ähnlich.

Doch während queere Szenen größer und sichtbarer werden, ist die Kirche – bildlich gesprochen – ein sinkendes Schiff, das sich auf offener See befindet. Nie waren die Austrittszahlen so hoch wie derzeit, und über den gesellschaftlichen Bedeutungsverlust der Kirche(n) wurde viel geschrieben. Sowohl im persönlichen als auch beruflichen seelsorglichen Gespräch höre ich immer öfter den Satz: „Ich trete aus.“ Ich gebe es nie zu, aber jedes Mal versetzt es mir einen kleinen Stich ins Herz. Ich höre zu, frage nach, habe freilich auch Verständnis. Doch einen Teil in mir macht es traurig, wenn Menschen austreten, wenn sie das große Ganze der Kirche – ihre Idee, ihr Potenzial, ihre Ressourcen, ihre Eigensinnigkeit und Relevanz – negieren. In Österreich bedeutet austreten aus der Kirche in den allermeisten Fällen austreten aus der römisch-katholischen Kirche, da wir als Evangelische hier in der totalen Minderheit sind. Früher habe ich noch gedacht, ein Austritt aus der römisch-katholischen Kirche macht immerhin einen Eintritt in die evangelische möglich. Heute berührt es mich auch, wenn jemand die – in Österreich – übermächtige katholische Schwester verlässt.

Und gleichzeitig richtet sich meine Enttäuschung auch auf die hochrangigen Vertreter_innen unserer evangelischen Kirchen selbst. Sich offen zeigen für Veränderung und Schritte ins Morgen tun, statt im Gestern zu verweilen, damit tun sich leider auch evangelische Kirchenleitungen manchmal schwer. Als Pfarrer_innen sind wir Role Models, Aushängeschilder, Auffangbecken und nun auch noch Change-Manager_innen zugleich. Ich befürchte, das ist zu viel.

Kirche wird sich wandeln, systemisch wie inhaltlich, das ist keine Frage. Wir werden nicht mit dem sinkenden Kahn, sondern einem anderen Schiff in einen Hafen einfahren. Die Rettungsmaßnahmen sollten schon in vollem Gange sein. Der Notruf jedenfalls ist abgesetzt.

 

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