"Davon kann er sich auch nichts mehr kaufen!", kommentiert ein schwuler Bekannter, als ich ihm von dem geplanten Gedenkgottesdienst in der Immanuelkirche erzähle. In seinen Worten mischt sich Berliner Schnauze mit leichter Verachtung für Religion an sich und die jahrzehntelange homosexuellenfeindliche Haltung der christlichen Kirchen im Besonderen.
1905 in Homburg (Saar) geboren, war Friedrich Heinrich Klein seit 1935 an der Immanuelkirche in Berlin als Pfarrer tätig. Dort hatte er unter anderem einen Gottesdienst für den inhaftierten Gemeindepfarrer Johannes Schwartzkopff abgehalten. Der wurde von den Nazis wegen seiner Aktivitäten für die „Bekennende Kirche“, der Oppositionsbewegung evangelischer Christen gegen die Kooperation der Deutschen Evangelischen Kirche mit dem Nazi-Regime, verfolgt. (Heute erinnert eine Ende 2018 eingeweihte Gedenktafel vor der Immanuelkirche an ihn.) Dann geriet Klein selbst ins Visier. Im Dezember 1941 wurde er bei einem Heimataufenthalt - er war von der Wehrmacht eingezogen worden - wegen des Verdachts auf „widernatürliche Unzucht“ mit dem damals 19-jährigen Unteroffizier Karl-Heinz Scheuermann verhaftet. Zunächst aufgrund mangelnder Beweise freigesprochen, wurde das Urteil im Herbst 1942 kassiert und der Fall an das Reichskriegsgericht überwiesen. Dort wurde Klein aufgrund des sogenannten Homosexuellen-Paragrafen 175 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt: „Verführung eines Mannes unter 21 Jahren [dem Volljährigkeitsalter] zur Unzucht“. Damit war Friedrich Klein einer der knapp 4000 Männer, die 1942 Opfer des §175 wurden.
Als ob das nicht genug wäre, fackelte man auch bei der Kirchenleitung nicht lange und entfernte ihn unter Verlust seiner geistlichen Rechte und seiner Bezüge aus dem Kirchendienst. Bis heute ist diese mit Stempel besiegelte Entscheidung nicht aufgehoben. Im Gegensatz zum Urteil der NS-Justiz. 2002 hat der Deutsche Bundestag alle Unrechtsurteile des Nazi-Regimes annulliert. Die EKD konnte sich zu einem solchen Schritt, was ihre eigenes Verhalten angeht, bislang nicht entschließen. Stattdessen wurde - von wem auch immer - versucht, die Vergangenheit heimlich zu „entsorgen“: Heute ist die Personalakte Friedrich Kleins als einzige der an der Immanuelkirche tätigen Pfarrer im Evangelischen Landeskirchlichen Archiv nicht mehr auffindbar!
In einem öffentlichen Gedenkgottesdienst am 1. September 2020 soll nun an Geschichte und Leben des Pfarrers Friedrich Klein erinnert und sein öffentliches Ansehen wiederhergestellt werden. Christian Stäblein, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin - Brandenburg - schlesische Oberlausitz (EKBO) wird den Gottesdienst leiten. In ihrer Einladung schreibt die Gemeinde, dass dieser erstmalige Akt einer Rehabilitierung eines aufgrund des §175 verurteilten und aus der Kirche ausgeschlossenen Pfarrers „zum Präzedenzfall für die gesamte Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)“ wird.
Nein, von dem Gottesdienst kann sich Pfarrer Friedrich Klein nichts mehr kaufen. Da hat der Bekannte völlig recht. Aber dennoch ist der Gottesdienst nicht wertlos. Im Gegenteil. Er ist wichtig als Zeugnis, dass das Unrecht, das Homosexuellen in der Nazi-Zeit (und danach) angetan wurde, nicht zu den Akten gelegt wird, dass kein Schlussstrich gezogen wird. Er ist wichtig als Teil einer immer wieder neu auszugestaltenden Erinnerungskultur. Und es ist der Gemeinde der Immanuelkirche und dem Arbeitskreis Homosexualität der Ev. Advent-Zachäus-Kirchengemeinde gar nicht hoch genug anzurechnen, dass sie, seit der Fall des Pfarrers Friedrich Klein bekannt wurde, sich für dessen Rehabilitierung und die Rehabilitierung aller wegen Homosexualität aus dem Dienst entfernten Mitarbeitern der evangelischen Kirche einsetzen.
Auf der Internetseite des Gesprächskreises Homosexualität spricht Historiker Dr. Günter Gau von „Ignoranz und/oder Desinteresse der EKBO gegenüber dem Schicksal jener Menschen, die auf Grund ihres Sexualverhaltens seinerzeit strafrechtlich verfolgt und gesellschaftlich ausgegrenzt wurden“. Der Gemeindekirchenrat (GKR) der Immanuel-Gemeinde im Prenzlauer Berg will mit seiner Forderung nach „Aufarbeitung der Causa Friedrich Klein und Rehabilitierung des unrechtmäßig Verurteilten“ erreichen, dass die EKD alle wegen ihrer sexuellen Orientierung aus dem Kirchdienst entfernten Mitarbeitenden rehabilitiert. „Die Evangelische Kirche ist dringend aufgefordert, Forschungsarbeit zu dem Thema der in der Nazi-Zeit entlassenen Pfarrerinnen und Pfarrer zu leisten und alle Betroffenen umgehend zu rehabilitieren“, so die GKR-Vorsitzende Uta Motschmann in einer Pressemitteilung.
Friedrich Heinrich Klein starb vermutlich 1944 im Krieg an der Ostfront. Nachdem die Nazis ihn zunächst im Gefängnis in Torgau eingesperrt hatten, war ihm im Juli die Möglichkeit der "Bewährung im Fronteinsatz" angeboten worden. Danach verliert sich seine Spur. Im Gedenkbuch der deutschen Kriegsgräberstätte Sologubowka, etwa 70 Kilometer südöstlich von St. Petersburg, ist Friedrich Klein als "vermisst seit 1. August 1944" verzeichnet.
Es ist ein später erster Schritt, der nun getan wird. Und vielleicht machen wir ihn nicht nur für den Pfarrer Friedrich Klein, sondern auch für uns. Mehr denn je ist von der evangelischen Kirche - und dies gilt ja nicht nur für den Umgang mit Homosexuellen - Transparenz gefordert, die Bereitschaft, nicht wegzuschauen, sondern aufzuarbeiten, was verdrängt, verleugnet, vergessen wurde. Anders als der zitierte Bekannte sehe ich darin eine große Chance der evangelischen Kirche. Dass all das zugefügte Unrecht geschehen ist, dass Leben und Lieben zerstört wurden, das müssen wir aushalten. Es nicht zu vergessen und aus der Erinnerungsarbeit Kraft zu gewinnen, heutiger Homosexuellenfeindlichkeit, heutigem Unrecht gleich welcher Art, entgegenzutreten, das kann ein klares Zeichen sein: für den Einzelnen und für die evangelische Kirche als Ganzes.
Info: Der Gottesdienst zum Gedenken an Pfarrer Friedrich Klein findet am Dienstag, 1. September 2020, um 19.30 Uhr in der Immanuelkirche, Immanuelkirchstr.1, 10405 Berlin statt. Wichtig: Wegen der derzeitigen Corona-Situation ist die Zahl der Teilnehmenden begrenzt und eine rechtzeitige schriftliche Anmeldung erforderlich (Link zur Internetseite).