Masken

Masken
Maske an Statue
© Kerstin Söderblom
Masken sind seit einigen Wochen zentraler Bestandteil des öffentlichen Lebens.
Masken sind seit einigen Wochen zentraler Bestandteil des öffentlichen Lebens. Ich habe mir Gedanken über die ambivalente Wirkung und Bedeutung von Masken gemacht.

Seit vierzehn Tagen haben wir sie, die Maskenpflicht. Im öffentlichen Nahverkehr, in Zügen der deutschen Bahn, in Supermärkten, Geschäften, in Behörden und, und, und... Überall müssen wir Masken tragen. Ich finde das mühsam. Als Brillenträgerin kann ich mit Maske kaum noch was sehen, weil die Gläser ständig beschlagen. Ich schwitze oft unter der Maske und bekomme kaum Luft. Es juckt und stört mich auf Schritt und Tritt. 

Trotzdem ermöglichen die Masken, dass Menschen sich in der Öffentlichkeit wieder freier bewegen können. Zwar immer noch mit Abstand. Aber es geht. Dank Masken, Abstandsregeln und sinkender Reproduktionszahlen ist viel mehr möglich als noch vor zwei Wochen denkbar schien. Also müsste das mit der Maske doch ein Kinderspiel sein. Zumal ich sie ja trage, um andere zu schützen. Das ist doch ein ausreichender Grund, oder? Ich profitiere umgekehrt ja auch davon, wenn andere Menschen Masken tragen. Die Mehrheit der Deutschen sieht das jedenfalls so und trägt Masken. Wenn man von Verschwörungstheoretiker*innen, Impfgegner*innen, Links- und Rechtspopulist*innen und den allgemeinen Wutbürger*innen gegen alles und nichts einmal absieht.

Die Sache mit den Masken ist aber nicht erst seit der Corona-Pandemie eine äußerst ambivalente Angelegenheit. Einerseits schützen sie vor Ansteckung und Krankheitserregern. Andererseits können Gesichter mit Masken kaum erkannt werden. Einbrecher, militante Demonstrant*innen und Terrorist*innen nutzen sie genauso wie Polizeisondereinsatztrupps, die gegen Mafiamitglieder, Drogendealer und andere Verbrecherclans vorgehen, um auf Fotos, TV- und Videoaufnahmen nicht erkannt zu werden. Masken können unveränderliche Identitätsmerkmale unkenntlich machen. Masken verdecken Gesichter von allen Menschen gleichermaßen. Deshalb gilt in Deutschland und in den meisten anderen Ländern in der Öffentlichkeit eigentlich ein Vermummungsverbot. Der und die einzelne muss erkennbar bleiben.

Seit der Corona-Pandemie sind Menschen allerdings dazu aufgerufen, Masken zu tragen, seit zwei Wochen sogar dazu verpflichtet. Ob sie bunt sind oder weiß, selbst genäht oder selbst gekauft, ob es eine Einwegmaske oder eine waschbare ist, ob mit Werbung oder Logo, ob mit politischem Statement oder ohne. Die Maske muss dabei sein. Sonst darf niemand rein in Sprechzimmer, Bäckerein, Supermärkte, Geschäfte, Behörden oder Ämter. Und niemand darf ohne Maske in Bussen oder Bahnen fahren. So einfach ist das.

Einfach ist die Sache mit den Masken aber trotzdem nicht. Denn ob jemand, weint, lacht, ärgerlich oder wütend ist, ist mit Maske nicht so leicht zu erkennen. Masken verdecken einen großen Teil der Mimik und damit der Ausdruckskraft des Gesichts. Für taube oder schwerhörige Menschen sind Mundbewegungen und Mimik lebenswichtig, um überhaupt etwas zu verstehen. Sie werden zurzeit massiv benachteiligt und von öffentlicher Kommunikation fast ganz ausgeschlossen.

Masken sind und bleiben also eine zwiespältige Geschichte. Sie können befreiend und hilfreich sein. Das sind vor allem die Masken, die bei Karneval, Fasching, Fastnacht und Co getragen werden, um in der fünften Jahreszeit mal so richtig auf den Putz zu hauen. Mit Hilfe von Masken, Verkleidung und Humor werden andere Rollen eingenommen. Viele können „in der Bütt“ kritischer und deutlicher sagen, was Sache ist. Masken spielen dabei eine wichtige Rolle.

Dann gibt es Masken, die zu einem neuen Leben verhelfen. Mir fällt dazu der Kinofilm „Die Maske“ (USA/1994) mit Jim Carrey ein. Es geht in dem Film um einen jungen Bankangestellten, der ausgenutzt wird, weil er zu nett und naiv ist. Eines Tages findet er eine Holzmaske. Immer wenn er sie anzieht, wird aus dem Tollpatsch ein Supermann. Er rächt sich daraufhin an allen, die ihm bis dahin böse mitgespielt haben. Er fängt sogar eine Verbrecherbande, und zum Schluss verliebt er sich in eine attraktive Frau, die ihn schließlich auch ohne Maske liebt. Wenn es doch nur auch im richtigen Leben so einfach wäre! Maske auf und alles andere wird zum Kinderspiel. So ist es leider nicht. Aber Masken können dennoch überlebenswichtig sein.

Dabei geht es meistens nicht um rein stoffliche Masken, sondern eher um unsichtbare Masken. Solche Masken haben Menschen durch die Jahrhunderte geholfen, andere Rollen einzunehmen, sich unter einer Maske anders zu fühlen und anders zu verhalten als es ihnen ohne Masken möglich gewesen wäre. Aus welchen Gründen auch immer. 

Viele Lesben, Schwule, Bi- und Trans*-Personen tragen solche unsichtbare Masken mit sich herum. Nicht wenige leben mehr oder weniger ausgefeilte Doppelleben, in denen sie von ihren schwul-lesbischen Beziehungen nichts erzählen oder sich nicht trauen, von ihren Träumen einer Geschlechtsumwandlung zu berichten. Sie fürchten Unverständnis, Mobbing, Nachteile im Berufsleben, Ausgrenzung in Familie, Nachbarschaft und sozialem Umfeld.

Das schlimme ist: Wenn man einmal angefangen hat ein Doppelleben zu führen, kann man sich daran gewöhnen. Unsichtbare Masken verdecken das, was man an sich selbst nicht mag oder was man sich nicht zu zeigen traut. Masken helfen, Gefühle, Wünsche, scheinbare Schwächen und Fehler vor anderen - und manchmal auch vor sich selbst - zu verbergen. Gefährlich wird es spätestens dann, wenn man die Maske einfach nicht mehr abbekommt.

Es gibt Menschen, die haben Angst, ihr Gesicht zu verlieren, wenn sie ihre Maske ablegen. Was würden die Leute denken, wenn sie merken, dass eine Frau eine Frau liebt? Dass ein Mann einen Mann liebt? Dass manche sowohl Frauen als auch Männer lieben? Was würden sie sagen, wenn ein Mann spürt, dass er im falschen Körper lebt, und dafür sogar Hormone nehmen und Operationen riskieren würde oder es schon lange tut?

Nicht wenige sind überzeugt: Wenn die anderen entdecken, dass sie sich hinter Masken verstecken und ein Doppelleben führen, dann wäre es aus. Dann wäre ihr Leben zu Ende. Und deshalb haben zahlreiche Menschen Angst, ihre innere Maske abzunehmen und andere hinter ihre aufgesetzte Fassade blicken zu lassen. Da zeigt man lieber ein unbestimmtes Lächeln.

„Mir geht´s gut. Ich komme klar. Danke der Nachfrage.“

Soll heißen: Kommt mir nicht zu nahe. Denn das ist gefährlich.Und es ist keine persönliche Paranoia, sondern statistisch überprüfbares Wissen, dass diese Vorsicht begründet ist. Selbst in Berlin und in anderen Großstädten Deutschlands und Westeuropas nehmen gewalttätige Übergriffe auf Schwule, Lesben, Bi- und Trans*-Personen wieder zu. Mobbing, Ausgrenzung und subtile Diskriminierung im Familien- und Berufsleben sind an der Tagesordnung. Auch im Jahr 2020. Kein Wunder also, dass nicht nur sichtbare Masken Konjunktur haben.

Grade in Zeiten der Corona-Pandemie werden Mitglieder von Minderheiten wieder verstärkt angegriffen und beschuldigt für die Krise verantwortlich zu sein. Geflüchtete, Migrant*innen, Juden und Jüdinnen. Muslime, Lesben, Lesben, Schwule, Bi- und Trans*-Personen werden attackiert, beleidigt und angefeindet. Ich habe davon in meinem Blogeintrag „Die Schuldfrage“ auf kreuz & queer am 15.04.2020 berichtet. Steigende Zahlen von Übergriffen und Diskriminierungen werden am internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Trans*- und Inter*-Feindlichkeit (IDAHOBIT) jeweils am 17. Mai veröffentlicht. Die Zahlen sind besorgniserregend. Insofern ist es kein Wunder, dass auch die unsichtbaren Masken wieder vermehrt getragen werden, um sich vor Hass, Gewalt und Anfeindungen zu schützen.

Was bleibt? Masken verstecken die eigene Identität, sie schützen vor Ansteckung und manchmal auch vor Anfeindung und Gewalt. Masken stören beim Lachen und Weinen, sie jucken und manchmal retten sie Leben. Wir werden weiterhin mit Masken leben müssen. Nicht nur in Corona-Zeiten.


 

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