Stern des Anstoßes

Stern des Anstoßes
Foto: Matthias Albrecht
Die Grünen beschließen, ihre Sprache geschlechtergerechter zu machen und fortan den "Gender Star" zu verwenden. Dafür erntet die Partei Hohn, Spott und Anfeindung. Welche Argumente werden gegen eine geschlechtergerechte Sprache ins Feld geführt? Und was ist ihnen zu entgegnen?

Die Schöpfung bringt mehr als nur zwei Geschlechter hervor. Dies war das Thema meines letzten Blogeintrages: Es gibt Menschen, die sich weder als Mann, noch als Frau begreifen, doch ihre Existenz kann in unserer Sprache kaum abgebildet werden. Ein unhaltbarer Zustand, ist es doch ein menschliches Grundbedürfnis, dass wir als das erkannt und bezeichnet werden, was wir sind. Das gilt ganz besonders für die  Geschlechtlichkeit, die wohl einer der elementarsten Bausteine unserer Identität ist.

Um das unsichtbar Machen von Menschen, die weder Frau noch Mann sind, zumindest im Schriftbild zu beenden, gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Vorschlägen. Einer davon ist die Verwendung des Gender Star "*", oder des Gender Gap "_". Wenn beispielweise statt der Schreibweise "Jünger", "Jünger*innen" oder "Jünger_innen" verwandt wird, dann zeigt dies die Vielgeschlechtlichkeit der Schöpfung an.

Wie bereits viele andere Organisationen vorher hat sich die Partei der Grünen entschieden, den Gender Star zukünftig zu nutzen. Die auf diesen Beschluss folgenden heftigen Gegenreaktionen, besonders innerhalb der diversen sozialen Netzwerke, waren absehbar. Ich greife im Folgenden einige der am häufigsten genannten Einwände auf und entgegne ihnen.

Erstens: Gibt es keine wichtigeren Themen? Bei dieser rhetorischen Frage ist bemerkenswert, dass sie in der Regel von denjenigen aufgeworfen wird, deren Geschlecht bereits in der Sprache zur Genüge berücksichtigt wird. Weiße, heterosexuelle Männer sind die Hauptkommentatoren. Es bedarf eines sehr egozentrischen Standpunktes, sein Glück darin zu finden, mit der gegenwärtigen Situation zufrieden zu sein, nur weil sie den eigenen Interessen entspricht. Nachfolger_innen Christi sind aufgerufen nach den Geschwistern zu fragen und auch deren Wohl zur obersten Handlungsmaxime zu erheben. Interessant ist, dass die vermeintliche Unwichtigkeit geschlechtergerechter Sprache in den diversen Threads, etwa bei facebook, das mit weitem Abstand am meisten genannte Argument ist. Könnte es sein, dass das Thema alles andere als unwichtig ist und gerade die gebetsmühlenhafte Beteuerung der Unwichtigkeit eine eigentlich nicht vorhandene Unwichtigkeit erst herbeireden soll? Die Gegenseite muss sich auch die Frage gefallen lassen, warum sie ein derart großes Aufsehen um einen Sachverhalt macht, wenn er doch so extrem unwichtig ist.

Zweitens: Gender Gap oder Gender Star betreffen nur eine Minderheit. Verschiedene Schätzungen gehen davon aus, dass etwa ein Promille der Weltbevölkerung mit nicht eindeutig männlich oder weiblich zuzuordnenden körperlichen Geschlechtsmerkmalen geboren wird. Das sind ca. 7.000.000 Personen. Über die Zahl derer, bei denen allein die Seele der Zweigeschlechternorm nicht entspricht, gibt es keine Befunde. Aber: Sind diese Zahlen überhaupt relevant, wenn bei Gott jeder einzelne Mensch wichtig ist. Dies kommt wunderbar in dem Lied aus dem Evangelischen Gesangbuch Weißt du, wie viel Sternlein stehen zum Ausdruck. Schon über jeden einzelnen Fisch heißt es da: "Gott der Herr rief sie mit Namen". Und kleinen Kindern singen wir zu: "Gott im Himmel hat an allen seine Lust, sein Wohlgefallen; kennt auch dich und hat dich lieb". Ja, Gott kennt jedes seiner Kinder, für ihn ist Quantität kein Kriterium. Denn in ihm und durch ihn ist alles (Röm. 11, 36), eben auch jedes Einzelne. Das heißt für uns, wenn wir Reich Jesus Christus bauen wollen, dann sind wir aufgerufen, die Rechte und die Würde aller Kinder Gottes zu achten und das sowohl unabhängig vom, als auch bezogen auf jedes Geschlecht.

Drittens: Hier soll Sprache von oben verordnet und Menschen etwas übergestülpt werden. Meine Erfahrung ist eher eine andere: Ich habe noch nie einer anderen Person vorgeschrieben, wie sie schreiben oder sprechen soll. Ich hingegen bin hier in meinen Blogeinträgen, aber auch schon oft anderen Orts wegen meiner geschlechtergerechten Sprache kritisiert worden. Ähnlich lagert es sich bei den Grünen. Sie entscheiden sich, innerhalb ihrer Strukturen den Gender Star einzuführen und das wird von Außenstehenden moniert. An dieser Stelle frage ich zurück: "Wer versucht hier eigentlich wem etwas überzustülpen?" Ich möchte mir keine Schreibweise vorscheiben lassen und ich bedarf keiner Sprachpolizei! Jede Person soll frei für sich entscheiden, wie sie_er sich ausdrückt. Ein anderer Fall sind jedoch gesellschaftliche Bereiche, in denen schon heute eine verbindliche Sprachform vorgegeben wird. Etwa in der öffentlichen Verwaltung oder in Schulen. Hier müssen wir als Gesellschaft entscheiden, ob wir weiterhin einheitliche und verbindliche Spracheregelungen wollen oder nicht. Falls eine verbindliche Regulierung der Sprache beibehalten wird, beinhaltet das, dass dann selbstverständlich auch alle Mitglieder der Gesellschaft ein Anrecht darauf haben, in der Sprache berücksichtigt zu werden. Gerade auch solche Personen, die in einer schwachen Position sind, denn das Gesetz Christi – und auch der Leitgedanke unserer Demokratie – ist nicht das Recht der_des Stärkeren. Zumal den Starken in diesem Falle ja nicht wirklich viel genommen wird. Bei dem Wort "Jünger*innen" bleibt die männliche Schreibweise und auch die weibliche Schreibweise vollkommen erhalten. Sie werden lediglich ergänzt. Und sollte uns das das Wohl unserer Geschwister nicht wert sein, sollte unsere Liebe so weit nicht reichen, dass wir diese Ergänzung, wenn schon nicht freudig begrüßen, dann zumindest aushalten können?

Viertens: Diese Schreibweisen mit Gender Star und Gender Gap sind umständlich. Ja, im Vergleich zu dem, was wir bisher an schriftlichem Ausdruck gewohnt sind, sind diese Schreibweisen umständlicher. Es braucht mehr Zeit, die Vielgeschlechtlichkeit der Schöpfung in der Sprache zu berücksichtigen. Aber kann ein erhöhter Aufwand wirklich das ausschlaggebende Argument sein, wenn die Alternative ist, dass die Identität bestimmter Menschen in der Sprache sonst gar keine Berücksichtigung findet? Die Einhaltung der Menschenrechte bedarf Zeit und ist in der Regel nicht der einfachste Weg. Der einfachste Weg stellt für Christ_innen aber auch keinen Wert dar. Auch wenn er in der Menschheitsgeschichte immer wieder versucht wurde zu beschreiten – zumeist mit fatalen Konsequenzen. Jesus Christus hat sich aus freiem Willen für den schwersten Weg entschieden, er ging ans Kreuz um der Menschheit das Heil zu bringen. Wir sind aufgerufen es ihm in unseren Worten und Taten gleichzutun.

Fünftens: Der Gender Star oder der Gender Gap sind nicht hörbar, aber Sprache wird zu allererst gesprochen. Dem ist insofern zuzustimmen, dass die gesprochene Sprache in der Tat von großer Relevanz für unser alltägliches Leben ist. Vielfach sicher noch relevanter als das Geschriebene. Trotzdem ist eine geschlechtergerechte Schreibweise nicht überflüssig. Vielmehr weist das Argument darauf hin, dass wir auch für das Gesprochene noch Ansätze benötigen, die die Vielgeschlechtlichkeit der Schöpfung symbolisieren. Hierüber nachzudenken ist jeder Mensch aufgefordert. Auch und vielleicht sogar besonders jene, die sich aktuell darin gefallen, Maßnahmen der geschlechtergerechten Sprache ausschließlich zu kritisieren. In den Kommentaren dieser Personen lese ich immer viel, warum sie dieses Gesetz und jene Sprachregelung nicht wollen, warum das alles lächerlich, überflüssig usw. ist. Was ich aber vermisse ist, auf die Situation derer einzugehen, die um die Anerkennung ihrer Geschlechtlichkeit kämpfen. Das Gesetz Christi lautet schließlich "Einer trage des andern Last" (Gal 6,2) und wir sind alle, ohne Ausnahme dazu aufgerufen, es zu erfüllen.

weitere Blogs

Warum Weihnachten hinter einer Mauer liegt und was sie überwinden kann.
In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.