Die Frage der Woche, Folge 108: Gibt es so etwas wie ein "digitales Schisma"?

Die Frage der Woche, Folge 108: Gibt es so etwas wie ein "digitales Schisma"?
Wenn die Kirche sich digitalisiert, zerfällt sie dann in digitale Kleingruppen, die sich nicht mehr einigen wollen? Die aktuelle Entscheidung zu Homo-Ehe aus Württemberg lässt mich darüber nachdenken.

Liebe evangelisch.de-Leserinnen und -Leser,

zwei Stimmen fehlten, um in der württembergischen Landeskirche öffentlichen Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare auch den Segen der Landessynode zu geben (hier auf evangelisch.de). Die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit war damit nicht erreicht. Birgit Mattausch hat auf Facebook ihrer emotionalen Antwort auf diese Entscheidung die Reaktion all jenerzusammengefasst, die sich von Herzen gewünscht hatten, dass auch die württembergische Landeskirche endlich die Gleichbehandlung ermöglicht, die eine liebende Kirche schaffen sollte:

"Ihr könnt eure Art zu leben zum Maßstab fürs Christ*insein erklären und Gendersternchen-Verwendung unter Strafe stellen, wenn ihr schon dabei seid. Aber ihr könnt uns andere nicht von Jesus trennen. Ihr könnt uns unsere Liebe zu ihm und zu seinem Wort nicht nehmen. Ihr könnt es nicht rückgängig machen, dass Gottes Sohn einer war und einer ist, der nicht passt und der die liebt, die nicht passen. Jesus passt nicht in euer aufgeräumtes Sakrotanleben mit euren sauberen Vorgärten, euren angeblich dauerglückenden Ehen, euren schriftgemäßen Sexualpraktiken."

Auch unter unserer Meldung dazu entspannen sich heftige Diskussionen, in denen sich auch diejenigen zu Wort meldeten, die sich durch den Widerspruch gegen die Entscheidung der Synode in ihren Glaubensüberzeugungen gekränkt sahen. Es gibt eben auch Christen, die sich offenbar in einer Kirche wohlfühlen, die sich nur innerhalb eines möglichst unveränderlichen Glaubenskanons bewegt und deren Glaubenspraxis sich nicht verändern soll.

Gleichzeitig bat der hannoversche Landesbischof Ralf Meister auf der hannoverschen Landessynode um Entschuldigung "für alle Diskriminierungen gegenüber homosexuellen Mitgliedern unserer Landeskirche, die durch die Kirche selbst erfolgt sind".

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Wer ist "die Kirche", die Ralf Meister meint? Es ist zum Einen die Institution und ihre Vertreter*innen, die damit gemeint sein können. Es ist zum Anderen auch die Gemeinschaft der Heiligen, die Gesamtheit der getauften Christinnen und Christen, die der Landesbischof damit meinen kann. Es ist das bemerkenswerte am Protestantismus, dass leitende Gremien und Menschen innerhalb einer Organisation mit eigentlich gleichen Zielen so unterschiedliche Interpretationen der gleichen Botschaft an den Tag legen. Das überrascht mich nicht, aber es fasziniert mich weiterhin.

Denn - und jetzt kommt meine persönliche gedankliche Kurve - wenn wir über Digitalisierung reden, gehören zwei Entwicklungen notwendigerweise dazu: das Verflachen von Hierarchien, und die Sender-Rolle jede*r Einzelnen, der oder die damit auch Repräsentant*in der Kirche ist. Wenn jede und jeder so ein eigenes Bild von "Kirche" pflegt und nach außen trägt, wird sie dadurch im besten Fall als vielfältig und bunt wahrgenommen, im schlechtesten Fall als unzuverlässig, zersplittert und bedeutungsarm.

Letzteres lässt sich nur verhindern, wenn es Berührungspunkte gibt, an denen das gemeinsame Bild von Kirche verhandelt wird. Das ist in jeder Öffentlichkeit eine Herausforderung. Es wird immer Menschen der einen und der anderen Überzeugung geben, darin liegt ja auch die Chance zum Erkenntnisgewinn. (Da setzen dann die verschiedenen Diskurstheorien an, die wir heranziehen können, um einer großen Gruppe einen Erkenntnisfortschritt auch zu ermöglichen.) Ich wünsche mir, dass der jetzt anlaufende Digitalisierungs-Prozess in der EKD das auch in den Blick nimmt. Wie organisiert man digitale Partizipation so, dass alle zu Wort kommen können und dabei Erkenntnisfortschritt entsteht?

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Weder die Diskussion um Homo-Ehe noch um die Frage der Partizipation ist neu. Zwischen dem Synodalprinzip, Wikipedia und liquid democracy liegen viele Varianten, wie sich so etwas organisieren lässt. Es ist wichtig, dass das auch in einer digitalen Kirche mitgedacht wird. Auch, damit die Kirche nicht von einer Gemeinschaft der Konfessionen mit gemeinsamen Bekenntnisgrundlagen in 785 Jesus-getriebene Filterblasen zerfällt, die im Streit um die Wahrheit ihre gesellschaftliche Aufgabe vergessen. Auch dazu gibt es analoge Präzedenzfälle. Aber dieses digitale Schisma müssen sich diejenigen vor Augen halten, die 2018 das Konzept für "Digitale Kirche" schreiben.

Ich wünsche euch und Ihnen ein gesegnetes Wochenende!


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