Wissenschaftler: Kirche muss Kirchenasyl gewähren

Stadtansicht von Bremen mit Kirchen
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In Bremen wird heftig um das Kirchenasyl gestritten.
Offener Brief im Streit in Bremen
Wissenschaftler: Kirche muss Kirchenasyl gewähren
Rund 30 Wissenschaftler:innen aus Bremen kritisieren in einem offenen Brief die Leitung der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) wegen ihres Umgangs mit dem Thema Kirchenasyl. Anlass des am Montag veröffentlichten Schreibens ist eine Aktion des Bremer Flüchtlingsrates im Zion-Gemeindezentrum der Vereinigten Kirchengemeinde Bremen-Neustadt. Die Verfasser werfen der Kirchenleitung vor, Veranstaltungen des Flüchtlingsrates in den Räumen der Gemeinde zu unterbinden und Druck auf den dortigen Pastor Thomas Lieberum auszuüben.

Der Bremer Flüchtlingsrat hatte (am Wochenende 15./16.3.25) über Soziale Medien dazu eingeladen, eine mögliche Abschiebung nach Kroatien zu verhindern. Unterstützer sollten dazu die Nacht in dem Gemeindehaus der Vereinigten Kirchengemeinde Bremen-Neustadt verbringen. Etwa 200 Menschen hätten daraufhin im Gemeindehaus getroffen. Kroatien stehe schon seit längerer Zeit in der Kritik, Geflüchtete teilweise äußerst brutal abzuschieben.

Matthias Dembski, Pressesprecher der Bremischen Kirche, hatte auf Nachfrage von evangelisch.de bestätigt, dass nach einem Gespräch zwischen dem verantwortlichen Gemeindepastor und der BEK-Leitung bezogen auf das Gemeindezentrum Zion in der Bremer Neustadt ein Moratorium vereinbart worden sei. "Dort werden bis auf Weiteres keine Menschen mehr ins Kirchenasyl aufgenommen. Außerdem haben beide Seiten vereinbart, dass dort keine Veranstaltungen des Bremer Flüchtlingsrats zum Thema Kirchenasyl mehr stattfinden."

Bremische Kirche weist Vorwürfe zurück

In einer Stellungnahme vom Montag widerspricht die BEK erneut den Vorwürfen und verweist auf das Moratorium, das Gemeinde und Kirchenleitung einvernehmlich geschlossen hätten. Beide Seiten hätten vereinbart, dass in der Gemeinde bis auf Weiteres keine Menschen mehr ins Kirchenasyl aufgenommen werden und keine Veranstaltungen des Bremer Flüchtlingsrats zum Thema Kirchenasyl mehr stattfinden. Hintergrund des Moratoriums sind den Angaben zufolge unter anderem laufende Gespräche der BEK mit dem Bremer Innenressort.

Bei der Aktion Mitte März seien die Menschen in dem Gemeindezentrum zusammengekommen, um eine mögliche Abschiebung eines 19-jährigen Syrers nach Kroatien zu verhindern. Als Begründung führte der Flüchtlingsrat unter anderem an, dass Geflüchtete in dem Balkan-Staat keine menschenwürdige und rechtsstaatliche Behandlung erhielten. Dieser Argumentation folgten nun auch die Unterzeichner:innen des offenen Briefes, unter ihnen der Epidemiologe Hajo Zeeb, der Rechtswissenschaftler Andreas Fischer-Lescano sowie der Politikwissenschaftler Klaus Schlichte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sieht Kroatien - wie alle EU-Staaten - hingegen als sicheres Herkunftsland an.

Die Leitung der BEK hatte sich bereits in der vergangenen Woche von der Aktion distanziert. Sie verwies auf eine Vereinbarung des Bamf mit der evangelischen und die katholischen Kirche in Deutschland, wonach es beim Kirchenasyl "um besondere Einzelschicksale geht, keinesfalls jedoch darum, den Rechtsstaat infrage zu stellen oder um eine systematische Kritik am Dublin-System". In ihrer aktuellen Stellungnahme ergänzt die Kirchenleitung, das Kirchenasyl sei "ein Appell im Sinne des Rechtsstaates, Einzelfälle mit besonderen humanitären Härten besonders zu überprüfen".

Vorwurf systematischer Push-Backs

Bereits im Dezember hatten Gemeindepastor Lieberum und rund 100 Mitstreiter einen Versuch der Bremer Innenbehörde vereitelt, das Kirchenasyl eines 25-jährigen Somaliers zu beenden. In der Folge hatte das Land Bremen der BEK vorgeworfen, zu großzügig von der Möglichkeit des Kirchenasyls Gebrauch zu machen. So hatte Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) kritisiert, dass von bundesweit etwa 2.000 Kirchenasylen rund 200 von Bremer Kirchengemeinden gewährt würden.

Seither befänden sich die BEK und der Senator "fortlaufend in konstruktiven und vertrauensvollen Gesprächen", betonte die BEK am Montag. Gemeinsam habe man vereinbart, mit dem Instrument des Kirchenasyls "besonders achtsam" umzugehen, um es auch in Zukunft in der bestehenden Art und Weise zu erhalten. Die BEK und ihre Leitung stünden weiterhin uneingeschränkt zum Kirchenasyl.

In dem Offenen Brief betonen die Wissenschaftler, das die Zionsgemeinde "mit ihrem Handeln ihren christlichen Auftrag, Menschen in Not Schutz zu gewähren, erfüllt" habe. Denn es sei seit Jahren umfangreich dokumentiert, dass Geflüchtete in Kroatien keine menschenwürdige und rechtstaatliche Behandlung erhielten, es dort zu systematischen Push-Backs sowie zu vielfältigen Formen von Gewalt inklusive Folter käme, Geflüchtete unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssten und keine rechtstaatlichen Asylverfahren gewährleistet seien. Aus diesem Grund habe es bisher keine Überstellungen nach Kroatien gegeben. 

Weiter heißt es in dem Offenen Brief: "Dass Bremen nun deutlich den Kurs ändert, entspricht den dramatischen bundesweiten Entwicklungen, und dass dabei in der europäischen Politik mit ihrem Primat der Migrationsabwehr die systematische Missachtung von Menschenrechten längst zum Alltag gehört, ist auch Ihnen bekannt."

Die Wissenschaftler:innen schrieben weiter, "wir erleben derzeit in noch nicht gekanntem Ausmaß, dass Migration zum Problem deklariert und Geflüchtete und Migrant:innen zu Sündenböcken gemacht werden, um von realen gesellschaftlichen Problemen wie der Klimakatastrophe und der immer größer werdenden Armuts-Reichtums-Schere abzulenken". Die europäische Asylpolitik nehme den Tod von Menschen nicht nur billigend in Kauf, sondern rechne ihn mit ein. In bürokratischen Terminologien wie "Überstellung" oder "Rückführung" verschwinde die Brutalität der durch sie bezeichneten legalistischen Praxen: "Menschen vor diesen Gewaltverhältnissen zu schützen, kann, muss und soll Auftrag einer christlichen Kirche sein. Auch die BEK ist hier gefordert, aktiv zu intervenieren und eine klare menschenrechtsorientierte Positionierung im Diskurs mit der praktischen Solidarität gegenüber Schutzsuchenden zu verbinden."

Den Bremer Flüchtlingsrat der kirchlichen Räume zu verweisen und der Zionsgemeinde eine Zusammenarbeit beim Thema Kirchenasyl zu untersagen, halten die Wissenschaftler:innen für "skandalös". Die Wissenschaftler:innen forderten die Kirchenleitung auf, ihren Kurs "grundlegend zu ändern, die betroffenen Gemeinden zu unterstützen und engagierte Pastor:innen nicht in ihrer Arbeit vor Ort zu behindern."