Ausprobieren, nicht alles selbst machen, ein Start-up gründen: Die Schlagworte der Digitalisierung waren bei der 52. Jahrestagung des Netzwerks Öffentlichkeitsarbeit alle präsent. Aber auch das Gefühl, dass sich die Kirche wie ein "ewiger Ladebalken" verhält, wenn es um den konkreten Umgang mit Digitalisierung geht. Die Beobachtung stammt von Hannes Leitlein, stellvertretender Redaktionsleiter von "Christ & Welt", der nach Harald Schirmer von Continental einen der Eingangsvorträge hielt.
Leitlein forderte dazu auf, nicht alles selbst machen zu wollen. Eine Landeskirche müsse beispielsweise keine eigene Alternative zu WhatsApp programmieren, sondern könnte alternative Messenger wie Threema unterstützen. Er rief die Menschen in der Kirche zu mehr Wagemut auf und machte vier konkrete Vorschläge, was die digitale Kirche aus seiner Sicht bräuchte: ein übergreifendes Social-Media-Team für die ganze evangelische Kirche; einen Reporter-Bus, der von Gemeinde zu Gemeinde fährt (sowas wie unsere evangelisch.de-Gemeindeserien, nur rollend LINK); Lehrstühle, um Digitalisierung aus theologischer Sicht nicht nur auf Tagungen zu besprechen; und ein Start-up in Berlin, "mit ausreichend Geld von Mutter Kirche", das Hannes den "verlorenen Sohn" nennt, "auf dass wir alle aus seinen Fehlern lernen und hoffen können, dass er eines Tages zurückkehrt und wir ein Fest feiern können" (mehr zu seinen Vorschlägen hier).
Harald Schirmer rief ebenfalls zu mehr Mut auf, lobte die modernen Möglichkeiten von kollaborativem Arbeiten und gab vor allem zwei Tipps und Hinweise mit. Erstens – macht "Rulebreaker Workshops"! Die fördern ein kreatives Herangehen an eine Lösung. Man setzt einer Gruppe ein Ziel, und jede Lösung dafür muss mindestens eine bestehende Regel brechen. "Aber" ist tabu – und wenn die Lösung nicht klappt, auch nicht schlimm, denn der Weg dahin ist das Ziel. Sein anderer Hinweis: Es gibt keine "one size fits all"-Lösung für viele Herausforderungen. (Harald Schirmers Folien gibt es hier im Netz.)
Schirmer, der mit Continental eine Großfirma hinter sich hat, betonte in der anschließenden Podiumsdiskussion auch, dass es einen wichtigen Unterschied gibt zwischen "von innen heraus ändern" und "einen digitalen Keil" in eine Organisation zu treiben.
"In geschlossenen Kommunikationskanälen kann man als Organisation nicht lernen"
Das wird eine der wichtigsten Fragen für den Prozess einer Digitalisierungsstrategie sein, den die Synode für die evangelische im vergangenen Herbst beschlossen hatte. Der Vorschlag, den eine Arbeitsgruppe erarbeiten soll, muss auch eine Idee entwickeln, wie "Digitalisierung" in allen Handlungsfeldern nicht nur ein paralleles Projekt bleiben, sondern die (Zusammen-)Arbeit innerhalb der Kirche nachhaltig verändern wird. Ein erster Gedanke dazu könnte sein, dass sich die Landeskirchen die Handlungsfelder im Bereich Digitalisierung untereinander aufteilen. Dafür müssen die jeweils anderen aber bereit sein, von den anderen aktiv zu lernen. Auch das muss man erstmal üben.
Schirmer gab dafür gute Hinweise, wie dieser Projektcharakter aufgelöst werden kann: "In geschlossenen Kommunikationskanälen kann man als Organisation nicht lernen", sagte der Digitalberater und mahnte Transparenz in allen Prozessen an. Das Ziel, dass sich aus seiner Sicht die Kirche für ihre Mitglieder setzen muss, ist: "Ich als Individuum bin wieder gefragt und ich kann etwas bewegen."
Das müssen aber Akteure an Schlüsselstellen erst ermöglichen. Und von diesen Akteuren gibt es in der Kirche sehr viele. Die alle einzubinden, funktioniert nur, wenn die Vorschläge zur Veränderung von Anfang an transparent gemacht werden, am besten schon der ganze Prozess. Sonst wird es schwierig, alle Menschen zu erreichen, die darin eine Rolle spielen können. Und auch diejenigen, die Lust auf Digitalisierung haben, aber nicht in die formellen Prozesse eingebunden sind. Denn solche Menschen braucht eine Institution wie unsere unbedingt, damit sich eine Veränderung von innen heraus ergeben kann. Wie Harald Schirmer sagte: "Bessere Entscheidungen werden gemeinsam getragen."
Oberkirchenrat Ralph Charbonnier hat mit der Kammer für soziale Ordnung der EKD den Auftrag, die ethischen Fragen des digitalen Wandels zu beleuchten. Er berichtete von "drei, vier Tiefenbohrungen" unter anderem in den Bereichen Arbeit und Wirtschaft und Governance. Im digitalen Transformationsprozess bleibe es wichtig, "die ethischen, christlichen Elemente zu entdecken", ergänzte er in der Podiumsdiskussion, und beim einfach Loslegen gleichzeitig auch die zugehörigen Bedenken und Einordnungen mit zu berücksichtigen.
Ende März trifft sich auf Einladung des Kirchenamtes eine große Gruppe aus Kirchenleitenden und Internet-Experten aus den Landeskirchen, um den Strategievorschlag für die Kirche im digitalen Wandel auf den richtigen Weg zu bringen. Mein Wunsch bleibt, dass wir alle mehr darüber erfahren, wie der Weg weiter beschritten wird - und dass es kein "digitaler Keil" wird, sondern eine verbindende Gesamtidee.
Ich wünsche euch und Ihnen einen guten Start in die Woche!
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