Die Frage der Woche, Folge 71: Ist öffentlich das gleiche wie offiziell?

Die Frage der Woche, Folge 71: Ist öffentlich das gleiche wie offiziell?
Das Präsidium des Kirchentages hat sich entschieden: Die AfD wird nicht ausgeladen, Rassisten aber schon. Eine Einschränkung braucht es dazu eigentlich nicht, oder?

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,

das Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages hat einen Beschluss gefasst: Deutschlands jüngste Partei, die AfD, wird nicht explizit vom Kirchentag ausgeladen. In dem Beschluss des Kirchentags-Präsidiums wird die AfD nicht direkt erwähnt. Das ist bemerkenswert, weil die AfD der Grund ist, dass das Präsidium überhaupt einen solchen Beschluss gefasst hat. Dabei stehen da eigentlich nur Selbstverständlichkeiten drin: Das Parteibuch eines Kirchentags-Vortragenden spielt keine Rolle für eine Einladung, sondern die fachliche Kompetenz, und auf einem Kirchentags-Podium sollen keine Rassisten sitzen.

Man kann beider Meinung sein - AfD ausladen oder nicht - , aber dem Beschluss des Kirchentagspräsidiums kann man eigentlich nicht widersprechen. Dass sich das Präsidium dennoch entschieden hat, eine eigentlich selbstverständliche Haltung in einen Beschluss zu gießen, zeigt, wie sehr die AfD und andere rechtspopulistische Strömungen die Maßstäbe der gesellschaftlichen Debatte bereits verschoben haben.

Aus dem "man wird ja wohl noch sagen dürfen" droht der Konjunktiv zu verschwinden. Den Äußerungen mancher Menschen auf Facebook nach zu urteilen ist er auch schon verschwunden.

Dabei wirft die ganze Debatte um die AfD durchaus Fragen auf, die diskussionswürdig sind. Denn die Frage, wie wir als Gesellschaft mit dem Zuzug vieler Menschen umgehen wollen und wie das "Wir schaffen das" konkret geschafft werden kann, braucht Antworten. Aus christlicher Sicht kann die Antwort nicht sein, niemand dürfe kommen, die Grenzen müssen wieder dicht sein und selbst ministrierende fußballspielende Senegalesen müssen abgeschoben werden. Trotzdem müssen wir über das "wie" reden. Dafür ist der Kirchentag ein ausgezeichneter Ort. Unbequemen Fragen muss das Christentreffen nicht aus dem Weg gehen, das hat das Präsidium erneut bestätigt.

Der dritte Punkt in dem Beschluss hat mich aber kurz stutzen lassen. Da heißt es:

"Gleichermaßen nicht eingeladen werden Personen, die Äußerungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit verbreiten, unabhängig davon, ob dies in offiziellen Statements oder in sozialen Medien und Netzwerken geschieht."

Da frage ich mich: Welche Personen geben denn offizielle Statements ab, die sich auf sie als Person beziehen? Denn der Kirchentag hat das Kriterium ganz klar personenbezogen formuliert. Wenn jemand Mitglied einer Organisation oder Partei ist, die in einem offiziellen Statement "gruppenbezogene Menschlichkeit" unterstützt, fällt das dann auf die Person zurück? Was ist mit Statements, die jemand zwar in sozialen Medien verbreitet, die dort aber nicht für jeden öffentlich sind? Konsequenterweise kann man den Halbsatz einfach streichen. Denn eine Äußerung in sozialen Medien und Netzwerken ist ebenso eine Äußerung wie eine am Kneipentisch oder am Telefon in der S-Bahn. Sie ist nur besser dokumentiert.

Was das Präsidium offenbar meint, ist: Auch eine persönlich geäußerte Meinung íst relevant für die Haltung einer Person, nicht nur die offiziellen Statements als Vertreter einer Partei oder Organisation. Dafür reicht es aber, "Äußerungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" zu verbreiten. Punkt. Egal auf welchem Weg. Eine Trennung zwischen "persönlich" und "offiziell" ist da ohnehin Makulatur.

Übrigens ist die Diskussion um "Hate" in jeder Form auch auf einer anderen großen Plattform als dem Kirchentag angekommen, nämlich auf YouTube. Das Hashtag dazu ist #NichtEgal. "Egal ist, wenn man zu bequem oder zu feige ist", formuliert der YouTuber Max Knabe aka HandOfBlood ud erklärt damit das Ziel der Kampagne: Es wird dazu aufgerufen, in den Kommentaren ein eigenes Statement gegen Hass zu setzen. Das ähnelt der Initiative "No Hate Speech", hat aber deutlich prominentere Fürsprecher (zumindest bei Jugendlichen). Vielleicht entwickelt #NichtEgal damit mehrh Schwung. Wäre ja nett, wenn der Kirchentag ein paar von den YouTubern einlädt. Denen ist nämlich auch egal, ob etwas ein offizielles oder persönliches Statement ist. YouTube ist für sie nämlich beides zugleich.

Ich wünsche euch und Ihnen ein gesegnetes Wochenende!


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