Jedes Frühjahr werde ich an eine Szene aus meiner Kindheit erinnert. Sobald ich – erwartet oder unerwartet – den Duft einer Tulpe in die Nase bekomme, sehe ich mich vor dem kniehohen Zäunchen stehen, das den Garten meiner Oma von dem der Nachbarn trennt. Ich versuche, mir vorsichtig einen Weg durch das Blumenbeet zu bahnen, um zu meiner Freundin Doris nach nebenan zu gelangen, ohne dabei die Tulpen abzuknicken, die groß und gelb und rot davor wachsen. Die Großeltern haben zu diesem Zweck extra ein Brett ins Beet gelegt, über das ich balancieren kann, aber die Oma wacht trotzdem mit Argusaugen über ihre Tulpen.
Natürlich war es unvermeidlich, dass hin und wieder eine Blüte abgeknickt wurde, und manchmal wurde ich dafür ausgeschimpft. Trotzdem erinnere ich mich gern an diese Szene und überhaupt an die Zeit, die ich im Garten meiner Oma zugebracht habe.
Dass Gerüche Erinnerungen wecken, ist ja an sich nichts Neues. Erinnerungen, die an einen Geruch gebunden sind, sind sogar die nachhaltigsten. Selbst bei Menschen, die eine Amnesie erlitten haben, kann das Erinnerungsvermögen mit Gerüchen stimuliert werden – meist sind es auch hier Kindheitserinnerungen, die durch Gerüche wieder wachgerufen werden. Und umgekehrt aktivieren bestimmte Bilder, Personen oder Geschehnisse das Geruchsempfinden, sie sind also an bestimmte Gerüche geknüpft.
Dies gilt für alle Gerüche, also auch für die Duftnoten „Bohnerwachs“ (bei mir gleichbedeutend mit unwirtlichen Schulkorridoren) oder „nasser Hund“ (unser Hund Robbie, der sich mit Vorliebe in möglichst brackigem Wasser suhlte). Und wenn ich einen Turnhallenumkleideraum sehe, komme ich nicht gegen den Geruch von muffigen Socken an, der sich in meiner Nase breit macht, selbst wenn ich besagten Umkleideraum nur auf einem Foto oder im Fernsehen sehe.
Das Besondere am Duft von Blumen dagegen ist, dass er fast immer angenehme Erinnerungen hervorruft, wie ein englischer Wissenschaftler nun herausgefunden hat. Damit, und auch mit dem zweiten Forschungsergebnis, nämlich dass bei den meisten von uns die erste Garten-Geruchs-Erinnerung in das Alter von vier bis fünf Jahren zurückreicht, liege ich voll auf Linie. Nur die Tulpen, die kann Professor Martin Conway von der City University London nicht bestätigen – Engländer verbinden ihre intensivsten Erinnerungen mit (in dieser Reihenfolge) Rosen, Hasenglöckchen, Narzissen, Wicken und Sonnenblumen.
Aber mir kann die Erinnerung an Omas Garten sowieso keiner nehmen. Alles, was es braucht, ist eine Tulpe.