Wenn Igel fliegen könnten, oder wenigstens klettern, hätten sie es vermutlich leichter im Leben. Doch während Vögel und Insekten über den Luftweg Zugang zu jedem Garten haben, egal wie abgeriegelt dieser ist, brauchen die Stacheltiere ein Schlupfloch, durch das sie rein- und auch wieder rauskommen.
Wie wichtig es ist, den Wildtieren Korridore anzubieten, die es ihnen ermöglichen, auf der Suche nach Nahrung ihre gewohnten Routen und Terrains abzulaufen, haben wir vor Kurzem selbst festgestellt: „Unser“ Igel wohnt ja nun schon das zweite Jahr in unserem Garten, und wir halten stets eine Schale mit frischem Wasser und etwas Futter für ihn bereit. Jede Nacht geht der hedgehog ins „Igelrestaurant“ – errichtet aus einer Gehwegplatte, die auf Backsteinen liegt, sodass zwar der Igel, aber weder Regen noch Katzen den Futternapf erreichen können. Danach wandert er durch eine Lücke im Bretterzaun zum Nachbarn und von dort vermutlich weiter. Bis zu fünf Kilometer legen Igel pro Nacht auf der Suche nach Nahrung zurück.
Vor einigen Wochen jedoch lief der Igel auf einmal auch am hellichten Nachmittag durchs Gras und zu seiner Futterstelle, und das an mehreren Tagen hintereinander. Da ich gelesen hatte, dass es ein Grund zur Besorgnis ist, wenn die normalerweise nachtaktiven Igel tagsüber herumwandern, fragten wir einen Tierarzt, was wir tun sollten. Dessen Frage, ob das Tier krank aussehe, verneinten wir (auch wenn ich ehrlich gesagt keine Ahnung habe, wie ein kranker Igel aussieht – für uns sah er aber aus wie ein gesunder Igel). Der Tierarzt tippte deshalb auf Hunger.
Wir erhöhten die Futtermenge. Aber egal, wie viel wir in den nächsten Tagen hinausstellten – jeden Morgen war alles ratzeputz aufgefressen. Der arme Wicht musste halb verhungert gewesen sein. Schließlich bemerkten wir auch, warum das so war: Die Nachbarin hatte – in Unkenntnis darüber, dass es sich um den Igelwanderweg handelt – einen Stapel ausrangierter Blumentöpfe vor dem Zaun abgestellt und so unwissentlich den Durchlass blockiert. Der Igel konnte also nicht mehr seine gewohnte Route ablaufen und das Nahrungsangebot, das er in unserem und den anderen Gärten, die er noch erreichen konnte, fand, hatte offenbar nicht ausgereicht, um ihn satt zu machen.
Jedenfalls: Als ich der Nachbarin von unserem Verdacht erzählte, räumte sie umgehend die Töpfe weg. Seitdem haben wir „unseren“ Igel nicht mehr tagsüber gesehen. Dass er noch da ist, wissen wir nur, weil er jede Nacht in sein „Restaurant“ geht und sich die seiner Meinung nach besten Stückchen aus seiner Futterschale aussucht. Der Rest bleibt liegen. Und wird am nächsten Morgen von mir an die bereits wartenden Vögel verfüttert. Wer fliegen kann, hat’s eben leichter im Leben.