7...8...9...10: uneins

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Die Republica hat noch nicht begonnen, da steht schon fest, was sie alles nicht kann. Der Hass oder eben Nicht-Hass auf Google spaltet die Verlage. In den USA erhoffen sich derweil Medienhäuser von Facebook die Lösung des Erlösproblems. SZ und NDR auf den Spuren eines Hochstaplers, die alte Tante Tagesspiegel wird zur alten Tunte Tagesspiegel, „Vorstadtweiber“ erobern den ARD-Vorabend.

Christopher Lauer ist heute in St Gallen. An jedem anderen Tag wäre das wenig bemerkenswert, weil so ein Halbzeitparlamantarier, Halbzeitspringerinterneterklärer an sitzungsfreien Tagen ja machen kann, was er möchte, und wenn Reisen nach St. Gallen dazugehören, bitteschön.

Doch während sich das halbe Internet unter größten Qualen (yes, I am looking at you, Bahnstreik) Richtung Berlin bewegt, um auf der Republica gemäß des diesjährigen Mottos Europa zu finden, aus Berlin in die Schweiz zu reisen, ist doch ein Statement. Wobei es Lauer selbstverständlich nicht bei der Reiseankündigung belässt, sondern seine bewusste Abwesenheit zusätzlich mit 6000 Zeichen in Springers Welt begründet:

„Mein etwas diffus fremdelndes Gefühl mit der re:publica hat also weniger mit der Organisation zu tun und mehr mit der Gruppe, die sich dort versammelt, der sogenannten Netzgemeinde™. Netzgemeinde™ suggeriert ja immer eine Ideologie und einen uniformen Körper, aber so isses nicht im Internet mit seinen kleinen Fürstentümern, wo jeder seins macht. Denn obwohl sich alle einig sind, dass sich irgendwas mit dem Internet ändern muss, sind sich alle dann wieder uneinig, wie genau sich denn was genau ändern muss. Damit wird die re:publica zu dem Ort, an dem jedes Jahr darüber gesprochen wird, dass sich jetzt mal etwas ändern muss, damit sich dann nichts ändert und man nächstes Jahr wieder sagen kann, dass sich was ändern muss.“

Nun wissen wir alle, was daraus wird, wenn Christopher Lauer in einer großen, deutschen Zeitung verkündet, mit etwas abgeschlossen zu haben. Und falls Sie es kurz verdrängt haben sollten, vergleichen Sie diesen Text aus der FAZ mit diesem Twitter-Account.

Doch im speziellen Fall Republica ist er nicht der Einzige, den die Ergebnislosigkeit der Konferenz gehörig nervt – Meike Laaff in der taz:

„Will sagen: Wen Snowden nicht aufgerüttelt hat, der wird einfach sitzen bleiben. Es ist die richtige, aber auch frustrierende Zeit, um mehr Ideen und Zukunft und digitalen Aktivismus für Europa einzufordern. Weil sich alles immer im Kreis dreht. Und tendenziell noch übler wird. Am ehesten könnten von Panels zum Thema Flucht und Migration Impulse für das Europathema ausgehen. Nur: Selbst davon kann man natürlich nur etwas mitbekommen, wenn man es über den Hof hinweg schafft. Denn sonst trifft und spricht man natürlich nur, wen und was man ohnehin schon kennt. Und sonnt sich ein wenig, im Kreise der Seinen.“

[+++] Ebenfalls im Kreise der Seinen, andere Konferenz: Johann Oberauer, Chef des Verlags mit der Wordpress-Präsenz, hat die Eröffnung des hauseigenen European Newspaper Congress gestern in Wien zum Anlass genommen, sich über die gemeinsame Initiative europäischer Verlage mit Google (u.a. dieses und dieses Altpapier) auszulassen:

„Anstatt Geld von Google zu nehmen, läge es nicht an uns, selbst Geld in die Hand zu nehmen - und damit ein Leseförderprogramm für Google einzurichten. Für europäische Gesetzestexte - und für unser Wertesystem. 150 Millionen Euro will Google den Medienhäusern für Innovationen im Journalismus zur Verfügung stellen. Ganz im Ernst, glaubt jemand hier im Saal, dass Google Ihre Zukunft nur im mindesten interessiert? Was sollen dann die 150 Millionen? Schweigegeld, um sich lästige Kritiker zu kaufen? Oder die Überlegung eines Parasiten, dass das Opfer nur dann nützlich ist, solange es lebt? Google kennt nur ein Ziel - Google selbst.“ (Die komplette Rede hat das hauseigene kress.de hier dokumentiert.)

Nun ist die Verwendung von Begriffen wie „Schweigegeld“ und „Parasiten“ in aufeinander folgenden Sätzen meist schon ein Hinweis, dass es einem Redner nicht am Schaum vor dem Mund, aber an einem kühlen Kopf gemangelt hat. Um die blinde Wut Oberauers auf Google endgültig zu belegen, sei noch dieses Zitat gebracht: 

„Haben Sie schon mal Porno auf ihrem Smartphone eingetippt? Im ersten Film, den mir Google vorgeschlagen hat, wurde eine junge Frau von 15 Männern vergewaltigt. Eine Stunde lang. Und wenn sie die Beine nicht breit gemacht hat, wurde ihr ins Gesicht geschlagen. Meine Damen und Herren, haben Sie Kinder? 7, 8, 9, 10 Jahre alt. Die sehen das. Wollen Sie das?“

Wäre dies eine Logikklausur, könnten wir nun die nächsten vier Stunden damit zubringen, zu analysieren, ob aus Sicht Oberauers nur Menschen zwischen sieben und zehn Jahren Kinder sind, oder rätseln, was der Herr sonst so googelt, wenn ihm eine Massenvergewaltigung als erster Treffer bei der Suche angezeigt wird.

Stattdessen belassen wir es bei der Erkenntnis, dass Verleger, die beim Leistungsschutzrecht darauf beharren, dass die von Google verlinkten Inhalte eben nicht Eigentum der Suchmaschine sind und sich dafür gerne bezahlen lassen möchten, das Unternehmen bei anderen Inhalten aber gleichsetzen mit deren Urheber.

Diesem Prinzip folgend müsste man Google nun dringend den Besuch eines Kurses in deutscher Grammatik empfehlen, schließlich führt die Suchmaschine unter dem Stichwort „European Newspaper Congress“ zu dieser Konstruktion:

„Wieder lässt sich Gabor Steingart, Herausgeber des deutschen ,Handelsblattes’, etwas Neues einfallen: Er entwickelt soeben eine Zeitung, die nur zehn (!) Themen bearbeitet. ,Die aber müssen so gut sein, wie man sie sonst nicht findet. Das Wichtigste, tief und gründlich.’ Für Frau Merkel - weil die würde in ihrem morgendlichen Briefing auch nicht mehr als zehn Themen aufnehmen können, übrigens auch nicht Obama.“

Die 7, 8, 9, 10 Kinder, die regelmäßig „European Newspaper Award“ googeln, die sehen das. Wollen Sie das, Herr Oberauer, in dessen Verlag dieser Artikel von kress.de erschien?

In anderen Worten: Mit Schaum vor dem Mund sieht man so schlecht klar, und andere Konferenzen haben auch ihre Probleme, wenn auch nicht mit der Trägheit, sondern dem blinden Aktionismus der Teilnehmer.

[+++] Man mag sich gar nicht ausmalen, wie Oberauers Rede ausgefallen wäre, hätte er den Artikel von Simon Hurtz bei sueddeutsche.de gelesen, dem zu entnehmen ist, dass Zeitungshäuser auf anderen Kontinenten sogar mit dem Internet-Oberschurken Facebook gemeinsame Sache machen.

„Medien wie die New York Times, Buzzfeed oder National Geographic sollen demnach bereit sein, Inhalte exklusiv für Facebook zu produzieren. Damit verlieren sie zwar Leser - und damit Anzeigenerlöse - auf den eigenen Seiten, Facebook lockt aber mit attraktiven Konditionen. Wenn die Verlage die Anzeigen neben ihren Inhalten bei Facebook selbst verkaufen, dürfen sie angeblich die vollständigen Werbe-Einnahmen für sich behalten. Übernimmt Facebook die Vermarktung, springen für die Medien immer noch 70 Prozent der Anzeigenerlöse heraus.“

Die Idee, sich die eigene Seite zu sparen und sich stattdessen auf bestehende Infrastruktur in den sozialen Medien zu verlassen, geistert ja schon etwas länger herum. Nun wird das in des USA also ausprobiert, was an dieser Stelle als Zirkelschluss zum Anfang genommen werden kann:

Vor zwei Jahren wurde auf der Republica „Reclaim Social Media“  vorgestellt – ein Wordpress-Plugin, mit dem man die Inhalte sozialer Netzwerke auf die eigene Website holen kann, weil man ja nie weiß, was Facebook so mit den dort hinterlegten Dingen tut, und ob Mark Zuckerberg nicht irgendwann danach ist, den kompletten Laden abzuschalten. Alle sollten das damals installieren, um ihre Inhalte als den sozialen Netzen zurückzuerobern, meinte Sascha Lobo.

Nun überlassen nicht nur Privatleute ihre Katzenfotos, sondern auch die in solchen Belangen sonst viel kritischeren Verlage ihre teuer erstellen Inhalte Facebook, in der Hoffnung, dort wissen man diese zu monetarisieren.

Die einen haben keine Ideen, die anderen können nicht mobilisieren, so könnte man es sehen. Oder man macht es wie Rainer Esser, Verlagschef der Zeit, und definiert diesen Schritt der Verlage Richtung Internetunternehmen nicht als Krise, sondern als Chance:

„Um guten Onlinejournalismus zu machen, brauchen wir Google nicht. Aber die partnerschaftliche Zusammenarbeit bietet uns die Chance, auch risikoreichere Projekte anzugehen und gemeinsam Neues auszuprobieren. Dass Google ein einflussreicher Akteur im digitalen Ökosystem ist, lässt sich nicht leugnen. Wir glauben deshalb, dass es besser ist, mit Google zu reden als immer nur über Google zu reden.“ (Quelle: horizont.net)

Herr Oberauer kann derweil ja das Reclaim-Social-Media-Plugin installieren. Die dafür nötige Wordpress-Seite hat er ja schon.


Altpapierkorb

+++ Um an dieser Stelle noch kurz bei in der Kritik stehenden Kooperationen zu bleiben: NDR und SZ haben mal wieder gemeinsame Sache gemacht, und das Ergebnis findet sich heute auf der Medienseite der Zeitung und um 21.15 Uhr als „Der Hochstapler“ bei „Panorama Die Reporter“ im Programm: Es geht um Andreas Holst –  eine Art gesteigerter Tom Kummer, der sich nicht damit begnügt hat, sich Interviews mit Brad Pitt auszudenken, sondern lieber Geschichten zu Giftgas in der Ostsee, Giftwaffen in Angola oder Geiseln in Somalia. Mal trat er dabei als Journalist auf, mal als Informant, mal als Kapitän (als der er auch in diesem bereits im Herbst ausgestrahlten „Panorama“-Beitrag zu sehen ist). „,Der Hochstapler’ zeigt, wie sehr Redakteure, auch erfahrene, anfällig sind, wenn die Aussicht auf einen großen Scoop winkt. Sabine Puls schüttet dabei keine Häme aus. Sie interpretiert ihre Rolle als Presenterin nüchtern - was nicht zuletzt angesichts der Schrillheit Holsts angemessen ist“, meint Altapapier-Autor René Martens in der taz. +++

+++ Der MDR erklärt die Kika-Krise für beendet: Nach Ermittlungsverfahren gegen 20 Personen und dem Eintreiben von 2,3 Millionen der insgesamt fast 10 Millionen Euro Schaden, die korrupte Mitarbeiter dem Sender zugefügt haben, sei die Aufarbeitung des Veruntreuungsfalls abgeschlossen, wurde gestern verkündet (Pressemitteilung). Es berichten u.a. Meedia, der Tagesspiegel und die FAZ auf der Medienseite. +++

+++ Auch in der Schweiz wird über Sinn und Fortbestand des gebührenfinanzierten Rundfunks debattiert. Mark Eisenegger und Linards Udris vom Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich halten heute in der NZZ ein Plädoyer für dessen Erhalt: „Gerade in Zeiten, in denen das Mediensystem eine schwere Krise durchlebt, ist der öffentliche Rundfunk unabdingbar. Der gebührenfinanzierte Rundfunk soll gewährleisten, dass er auch dann, wenn traditionelle publizistische Geschäftsmodelle nicht mehr funktionieren und die privaten Medien ächzen und sparen, nicht ebenfalls gefährdet wird, sondern seine gesellschaftliche Aufgabe erfüllen kann.“ +++

+++ Der Tagesspiegel hat ein Herz für Minderheiten und nun nach diversen Bezirks- auch ein queeres Blog eingeführt, den Queerspiegel. In den Worten der Macher: „Die alte Tante Tagesspiegel hat endlich ihr coming out als Tunte Tagesspiegel.“ +++

+++ Der ARD-Vorabend hat ab heute Abend seine eigenen verzweifelten Hausfrauen, und Kathrin Hollmer hat sich für die SZ angesehen, wie die „Vorstadtweiber“ im Vergleich mit ihrem amerikanischen Vorbild abschneiden: „,Vorstadtweiber’ erreicht nicht den absurden Humor und die skurrilen Dialoge (...). Trotzdem funktioniert die Serie: weil man wissen will, wie es den Desperate Housewives von Wien ergeht, und weil man die schrillen Frauen als Parodie auf ihre Seelenverwandten aus der Wisteria Lane verstehen kann.“ Ursula Scheer findet in der FAZ nicht ganz so freundliche Worte: „Klingt unterhaltsam? Nach Gesellschaftssatire mit übel überzeichneten Charakteren, bissigen Dialogen und messerscharfen Pointen? Ist es aber nicht. Sondern uninspiriert runtergespielte Flachware aus dem Klischeebaukasten.“ +++

+++ Außerdem auf der Medienseite der FAZ: Kerstin Holm nimmt eine Medientagung an der Journalistenakademie im südrussischen Woronesch zum Anlass, über die Pressefreiheit und das journalistische Selbstverständnis im Land zu schreiben. +++

+++ Eine gedruckte Zeitung, deren Auflagenzahlen steigen? Für die taz hat sich Andreas Speit auf die Suchen nach dem Erfolgsrezept der Jungen Freiheit gemacht und Folgendes gefunden: „Kein Thema des rechten Wutbürgers läst die JF aus. [Chefredakteur Dieter] Stein bemüht sich aber, die Grenze nach zu weit rechts nicht zu überschreiten. Vielleicht das Erfolgskonzept der ,JF’. (...) Die ,JF’ wirbt gern damit, dass 61 Prozent der Leser ein ,abgeschlossenes Hochschulstudium’ haben. Die größte Leserschaft haben sie allerdings in der Altersgruppe 60 bis 69 Jahre.“ +++

+++ Und wer sich zum Jahrestag des Kriegsendes ein wenig mit Fernsehen weiterbilden möchte, für den hat der Tagesspiegel eine kleine Programmauswahl zusammengestellt. +++

Neues Altpapier gibt es wieder am morgigen Mittwoch. 

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