In den kommenden Wochen sollen deutschlandweit neun regionale Aufarbeitungsgremien, die sogenannten "Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen" (URAK), an den Start gehen. In Niedersachsen und Bremen kam es jedoch bereits zum Eklat: Die von der Landesregierung in Hannover benannten Mitglieder traten auf Druck von Betroffenenvertretern zurück. Diese sieht sich nun außerstande, neue Mitglieder zu benennen.
Die frühere Landes-Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) und die Präsidentin der Klosterkammer Hannover, Thela Wernstedt, teilten am 13.3. mit, dass sie ihr Amt nicht antreten werden. Am vergangenen Wochenende habe sich bei einem Treffen von Betroffenen eine Mehrheit dafür ausgesprochen, mit ihnen nicht vertrauensvoll zusammenarbeiten zu wollen. Das habe sie dazu veranlasst, zurückzutreten. "Eine Zusammenarbeit ergibt keinen Sinn, wenn die Betroffenen das nicht wollen", betonte Niewisch-Lennartz.
Niedersachsens Regierungssprecherin Anke Pörksen sagte, die Landesregierung erachte die Bewertung der Betroffenen für unhaltbar. Niewisch-Lennartz und Wernstedt hätten bewiesen, dass sie über ein hohes Maß an innerer Unabhängigkeit verfügten. "Es ist nicht nachvollziehbar, wie einige der Betroffenen zu der Einschätzung gelangt sind, mit diesen beiden Frauen nicht zusammenarbeiten zu können."
Die Landesregierung sehe sich nun außerstande, andere Personen für die URAK zu benennen, sagte Pörksen. Auch diese müssten befürchten, "einem Screening unterworfen zu werden und dann gegebenenfalls unsachlichen Vorwürfen entgegentreten zu müssen. Dies ist nicht zumutbar."
Lob für Rücktritt
Der Betroffenenvertreter Jakob Feisthauer sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), die Betroffenen hielten die beiden Frauen aufgrund ihrer früheren oder aktuellen Mitgliedschaft in kirchlichen Gremien für befangen. Niewisch-Lennartz war Mitglied der Synode der hannoverschen Landeskirche. Die Ärztin und frühere SPD-Landtagsabgeordnete Wernstedt war ebenfalls Synodenmitglied und gehört unter anderem dem Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages an.
Feisthauer betonte, er danke beiden für ihren Rücktritt. "Für mich zeigt dies, dass Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sind und Ihnen die Bedürfnisse von Betroffenen wichtiger sind als die Bedürfnisse der Kirche", schrieb er in einer Mail an Wernstedt und Niewisch-Lennartz, die dem epd vorliegt. Er halte sie beide für "hochkompetente Personen".
Unabhängigkeit betont
Auch in Sachsen verzögert sich der Start der Kommission. Die Benennung der Mitglieder durch die Landesregierung und die Betroffenenvertretung werde voraussichtlich im April erfolgen, hieß es. Dann werde die Kommission ihre Arbeit zügig aufnehmen.
Grundlage für die Kommissionen ist eine Vereinbarung über Standards zur Aufarbeitung von Missbrauch mit der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Kerstin Claus, aus dem Dezember 2023. Darin heißt es, die Kommissionen müssten spätestens 15 Monate nach Unterzeichnung der Erklärung ihre Arbeit aufnehmen. Aufgaben dieser Gremien sind unter anderem, Fälle sexualisierter Gewalt zu erheben, Ursachen für Missbrauch aufzudecken und den Umgang mit Betroffenen zu analysieren. Mit der katholischen Deutschen Bischofskonferenz gibt es eine ähnliche Erklärung aus dem Jahr 2020.
In den Kommissionen sitzen neben Betroffenen, Expertinnen und Experten auch Vertreter der Landeskirchen und Landesverbände der Diakonie. Um die Unabhängigkeit zu gewährleisten, dürften weniger als die Hälfte der Mitglieder Beschäftigte der evangelischen Kirche oder der Diakonie sein oder einem ihrer Gremien angehören, hieß es. Die unabhängigen Experten sollen von den Landesregierungen benannt werden.