Das Gelände der evangelischen Stephansstift-Gemeinde in Hannover ist weitläufig, viele Gebäude gruppieren sich um die Kirche. "Wir haben als diakonische Gemeinde genügend Möglichkeiten, Geflüchtete, die eine Abschiebung fürchten, hier gut unterzubringen", sagt Pastor Sven Quittkat. Insgesamt zehn Personen gewährt die Gemeinde derzeit Kirchenasyl. "Trotzdem habe ich jede Woche rund 30 weitere Anfragen, die ich nicht erfüllen kann, und eine lange Warteliste."
Die Angst der Menschen, die von Abschiebungen bedroht seien, nehme zu, seit sich die Stimmung im Land immer mehr gegen Geflüchtete richte, erzählt Quittkat. "Selbst wenn sie hier bei uns sind, schlafen sie nicht gut. Sie haben Angst, dass nachts zwischen 3 und 6 Uhr morgens die Polizei vor der Tür steht, um sie in Abschiebehaft zu nehmen."
Gerade in den ersten Tagen und Wochen gehe es darum, ihnen Sicherheit zu vermitteln, sagt Helene Eißen-Daub, die sich ehrenamtlich um die Menschen im Kirchenasyl der Stephansstift-Gemeinde kümmert. "Ich gehe dann jeden Tag hin, nur um ihnen immer wieder zu sagen: You are safe." Darüber hinaus ist die pensionierte Pastorin Gesprächspartnerin, Seelsorgerin und Hauswirtschafterin, wenn es etwa gilt, die Wohnungen für einen Neueinzug herzurichten.
Dürfen Kirchengemeinde nicht verlassen
Die meisten Geflüchteten verfügten aber auch selbst über ein Netzwerk von Unterstützern, die sie besuchten, übersetzten oder für sie einkauften, erklärt Pastor Quittkat. Denn die Schutzsuchenden dürfen das Gelände der Kirchengemeinde nicht verlassen und erhalten auch keine Asylbewerberleistungen.
"All diese Dienste wären mit unserer Handvoll Ehrenamtlicher gar nicht zu leisten", sagt Pastorin Kristina Wollnik-Hagen, zuständig für die Frauen im Kirchenasyl der Gemeinde. "Vor zehn Jahren hatten wir noch 30 Ehrenamtliche. Die mussten wir manchmal sogar bremsen, damit die Geflüchteten auch mal für sich sein konnten."
Die Zahl der Kirchenasyle hat in den Jahren nach der Corona-Pandemie deutlich zugenommen. Knapp 2.400 Fälle bundesweit zählte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im vergangenen Jahr. Zwei Jahre zuvor waren es halb so viele, 2017 und 2018 jeweils etwa 1.500. In der Regel werden die Geflüchteten mit dem Kirchenasyl vor der Abschiebung in das EU-Ersteinreiseland bewahrt. Nach sechs Monaten läuft die Rücküberstellungsfrist ab und Deutschland übernimmt das Asylverfahren. Dann verlassen die Menschen das Kirchenasyl.
Laut einer Vereinbarung zwischen Staat und Kirchen soll Kirchenasyl nur in besonderen Härtefällen gewährt werden. Diese werden in Form von Dossiers dem BAMF zur Prüfung vorgelegt. Welcher Fall ein Härtefall ist, darüber sind sich Politik und Behörden einerseits und die Kirche andererseits allerdings zunehmend uneinig.
Das Kirchenasyl ist seit Monaten unter Druck. Laut Dietlind Jochims, Vorstandsvorsitzende der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, gab es 2024 bundesweit etwa zehn kritische Situationen, in denen Behörden ein Kirchenasyl vorzeitig beendet oder eine Räumung versucht haben. Diese Aktionen wurden meist von öffentlichen Protesten begleitet.
Solche Aktionen führten dazu, dass Gemeinden sich zurückziehen, sagt Pastorin Uta Giesel von der Matthäusgemeinde in Hildesheim, die schon seit vielen Jahren Kirchenasyl gewährt. Die ohnehin schon weniger werdenden Ehrenamtlichen würden verunsichert.
Einige Gemeinden öffnen sich für lokale Vereine und Initiativen und können dadurch auf einen größeren Pool an Helfenden zurückgreifen. So auch die Bremer Neustadt-Gemeinde: Dort bieten etwa der Flüchtlingsrat und die "Omas gegen rechts" Cafés, Sprachkurse oder eine Fahrradwerkstatt an, erzählt Pastor Thomas Lieberum.
Für die Haupt- und Ehrenamtlichen vor Ort sind Zweifel und Kritik am Kirchenasyl oft schwer nachvollziehbar. Sie sind immer wieder mit den Berichten der Schutzsuchenden über die schlechte Behandlung in einigen Ländern wie Kroatien, Bulgarien, Rumänien, aber auch Litauen oder Polen konfrontiert.
Die Menschen lebten auf der Straße, hungerten, würden mit Gewalt in Nicht-EU-Staaten zurückgedrängt und Frauen seien sexueller Gewalt ausgesetzt, zählt Quittkat auf. "Das ist doch nicht humanitär und hat mit der UN-Menschenrechtscharta oder der Genfer Flüchtlingskonvention nichts zu tun", empört sich der Pastor.
Auch Asad (Name geändert) war einst im Kirchenasyl. Der 22-jährige Kurde war als politisch Verfolgter aus der Türkei geflohen. Vier Monate habe er im Kirchenasyl verbracht. Albträume hätten ihn gequält, tagsüber sei es oft langweilig gewesen. "Aber ich habe viele nette Menschen und meinen besten Freund in der Kirche kennengelernt", erzählt er. "Er hat mich fast jeden Tag besucht, wir haben gegrillt oder Schach gespielt. Ich bin ihm sehr dankbar."
Heute hat Asad einen festen Job bei einer Metallbaufirma. Die Unsicherheit über seine Zukunft ist jedoch geblieben. "Vor zwei Monaten hatte ich mein Interview für den Asylantrag. Ich hoffe, dass ich in Deutschland bleiben darf."