Ungleich vereint
Ist der Osten westgemacht? Endlich angeglichen oder politisch abgedreht? - Ein differenzierter Beitrag zur aktuellen Debatte.
Steffen Mau wurde 1968 in Rostock geboren und lehrt heute an der Humboldt-Universität in Berlin Makrosoziologie. 35 Jahre nach dem Mauerfall brandet die Ost-West-Debatte angesichts der politischen Entwicklungen gerade heftig auf. Mau untersucht jenseits von Schuldbegriffen warum der Osten vorerst anders bleibt. Die 1989 erwartete Angleichung ist weitgehend ausgeblieben, vielmehr ist auch heute noch eine "Phantomgrenze" sichtbar, wenn man z. B. nach Kirchenbindung, Vereinsdichte, Erbschaftssteueraufkommen, Zahl der Tennisplätze und Anteil junger Menschen, Parteimitgliedschaft oder Kaufkraft fragt.
Mau beobachtet eine Verstetigung ostdeutscher Sozialstrukturen und Mentalitäten. Kenntnisreich entwickelt er in den Kapiteln "Ausgebremste Demokratisierung", "kein 1968 und "ostdeutsche Identität" mögliche Ursachen und widmet sich dann eingehend den politischen Konfliktlagen und schließlich der Frage nach den Entwicklungsmöglichkeiten der Demokratie angesichts der Abkehr von den westdeutschen Mehrheitsparteien. Seine Ideen wie die Einrichtung von Bürgerräten ist unbedingt diskussionswürdig.
Als wichtiger Beitrag zur Versachlichung der Diskussion mit vielen Fakten und Studienergebnissen. Auch für Laien verständlich. Gabriele Kassenbrock
Mau, Steffen: Ungleich vereint. Warum der Ostern anders bleibt. Steffen Mau. Berlin: Suhrkamp 2024. 168 S. ; 21 cm, ISBN 978-3-518-02989-3, kt.: 18,00 €
Freiheitsschock
Eine ebenso wütende wie treffsichere Schrift gegen die ostdeutsche Opferrolle und ein Plädoyer für Freiheit und Demokratie.
2023 hat Dirk Oschmann mit seinem Buch "Der Osten: eine westdeutsche Erfindung" viel Aufsehen erregt. Kowalczuks Buch stellt den Gegenentwurf dar. Scharf kritisiert der Historiker, wie Ostdeutsche in Oschmanns "Wutseller" zu Opfern stilisiert werden. Sein Buch gliedert sich in drei Teile, in denen er die Prägungen und Vorstellungen vor 1989 in Erinnerung ruft, die Erwartungen an die Wiedervereinigung darstellt und schließlich aktuelle Meinungen und Positionen in Ostdeutschland in den Blick nimmt.
Seine These: autoritäre Denkweisen waren nie verschwunden und die durch die SED-Diktatur verursachten Schäden wurden nie aufgearbeitet. Die erfahrenen Ungerechtigkeiten im Vereinigungsprozess beider deutscher Staaten wirken dabei als verstärkender Faktor und führen dazu, dass Freiheit und Demokratie infrage gestellt werden. Das Buch ist polemisch und unbequem und der Autor lässt viele persönliche Erfahrungen mit einfließen. Trotzdem ist die Argumentation schlüssig und gut fundiert. Ein anspruchsvolles Buch und eine wichtige Stimme in der Debatte um Ostdeutschland und den Rechtsruck. Wiebke Richter
Kowalczuk, Ilko-Sascha: Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute. Ilko-Sascha Kowalczuk. München: C.H.Beck 2024. 240 S. ; 22 cm, ISBN 978-3-406-82213-1, geb.: 22,00 €
Unterm Staub der Zeit
Berlin, 1958. Der 14jährige Daniel kommt als Ostdeutscher nach Westberlin auf ein Gymnasium. Autobiographischer Roman.
Genau wie Daniel ist Hein 14jährig nach Westberlin gekommen, um ein Gymnasium besuchen zu können. Als Pfarrerssohn waren ihm im sozialistisch geprägten Osten weiterführende Schule und Studium verwehrt. Vieles teilt Hein (1944 geb.) mit seiner Hauptfigur Daniel, nicht zuletzt die Liebe zum Theater. Hein ist mit zahlreichen Preisen für sein literarisches Werk ausgezeichnet worden. Er gilt als der Chronist von ost- und westdeutscher Geschichte und Gegenwart. Er kann erzählen - warum schreibt er hier also nicht wirklich seine eigene Geschichte auf, sondern "verpackt" seine Erinnerungen in einen anekdotenhaften Roman mit oft belehrendem Unterton?
Keine Frage, die Jahre sind wichtig und interessant und der Leser erfährt Einiges über diese Zeit. Daneben stehen Verletzungen, Gefühle des heranwachsenden Jugendlichen zwischen Ost und West - in Schule und Freizeit. Offensichtlich braucht Hein die Distanz und schafft in Form und Sprache auch eine gewisse Distanz zwischen Buch und Leser. Zeitgeschichtlich wichtiges Dokument zu den Jahren 1958-1961 sowie zu Heins Leben. Ausgezeichnet geschrieben und interessant zu lesen. Bettina Wolf
Hein, Christoph: Unterm Staub der Zeit. Roman. Christoph Hein. Berlin: Suhrkamp 2023. 220 S. ; 22 cm, ISBN 978-3-518-43112-2, geb.: 24,00 €
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