"Wenn eine verwandtschaftliche Beziehung schon vor der Pflege etwa durch Eifersucht, Neid oder Habgier gestört ist, drohen Vernachlässigung, psychische Misshandlung und körperliche Aggression gegen den Pflegebedürftigen." Um dies zu verhindern, seien mehr Präventionsangebote notwendig.
"Schon an der Einstufung von Pflegebedürftigen durch den medizinischen Dienst sollten erfahrene Psychologen beteiligt werden", erklärte die 81-jährige Ethnologin und Psychologin aus dem baden-württembergischen Rottenburg am Neckar. "Sie sollten die häusliche und familiäre Situation dahingehend prüfen, ob hier eine gute Pflege möglich scheint."
Die pflegenden Angehörigen bräuchten zudem eine bessere und niedrigschwellige Beratung über Entlastungsmöglichkeiten wie Tagespflege, Kurzzeitpflege und ambulante Pflegedienste, sagte Blechner, die sich in einer Studie und einem Buch mit dem Titel "Von wegen Überforderung" mit dem Thema beschäftigt hat. "Wenn sie frühzeitig wissen, dass sie nicht alles allein schaffen müssen und Hilfe bekommen können, eskaliert die Situation womöglich nicht."
Ambulante Pflegedienste sollten zudem mit mehr Interventionsmöglichkeiten ausgestattet werden, wenn sie auf Missstände in den Familien stoßen und in engem Kontakt mit den Hausärzten der Pflegebedürftigen stehen, forderte die Expertin. "Die wenigsten ambulanten Pflegekräfte schließen sich mit den Hausärzten kurz, vieles wird nicht weitergeleitet und versandet dann irgendwo."
In der Pflege werde das Argument der kurzfristigen Überforderung viel bereitwilliger akzeptiert als in anderen Situationen, beklagte Blechner. "Wir haben für Überforderung ein Rund-um-Verständnispaket bereit, wenn den Pflegenden die Hand ausrutscht", sagte sie. "In anderen Berufen sind wir empört über die Entschuldigung 'Überforderung', etwa beim Lkw-Fahrer, der nach 15 Stunden am Steuer einen Unfall verursacht, oder beim übernächtigten Arzt, der einen Patienten genervt wegstößt."
Das A und O für eine gelingende häusliche Pflege sei ein gutes Verhältnis zwischen Pflegendem und Pflegebedürftigem, betonte die Expertin: "Eine positive Beziehung kann selbst schwerste Belastungen wettmachen."