Die ehemalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, hält nichts von einer unpolitischen Kirche. Das Evangelium habe für sie "ganz klar eine politische Dimension", schreibt die ausgebildete Katechetin und frühere Grünen-Landesministerin in einem Beitrag für die Berliner Wochenzeitung "Die Kirche" (Ausgabe 24. September).
Kirchen hätten schon immer hochwirksam auf Notsituationen der Gesellschaft reagiert, indem sie Schulen gründeten, wenn es nötig war, Krankenhäuser und Altenheime eröffneten, weil Menschen Not litten. Genauso hätten in den 1980er Jahren die Gemeinden in der DDR auf einen Notstand reagiert, indem sie mitten in einer Diktatur angstfreie Räume für Information, Diskurs und gegenseitige Ermutigung bereitstellten. "Man kann es auch politische Diakonie nennen", erklärt Birthler.
Wenn heute Forderungen geäußert werden, die Kirche solle sich lieber um ihr "Kerngeschäft", die Verkündigung, kümmern als um Politik und sich raushalten, mache sie das misstrauisch. Gleiches habe die SED damals von den DDR-Kirchen gefordert. In Wahrheit gehe es dabei nicht um die Seele, sondern darum, dass jemanden das, was Kirche tut oder sagt, politisch nicht passt.
"Vielleicht sind wir Christen manchmal zu ängstlich", schreibt Birthler weiter. "Dabei haben wir etwas zu bieten in diesem Diskurs." Rassismus, Menschenverachtung und Lügen seien bestimmt nicht mit dem Evangelium zu rechtfertigen, auch nicht die Behauptung, die christliche Religion habe hierzulande eine Art Hausrecht. Das Evangelium ermutige, als freie und verantwortliche Menschen zu leben, "und das weder auf Kosten anderer Menschen noch auf Kosten der Schöpfung".