Vielleicht hörte Werner Teske noch Schritte, als er den Raum in der Leipziger Strafvollzugsanstalt Alfred-Kästner-Straße betrat. Vielleicht traf ihn der "unerwartete Nahschuss" in den Hinterkopf auch ohne jede Ahnung. Der Stasi-Hauptmann war der letzte Mensch, der in der DDR hingerichtet wurde, am 26. Juni 1981. Es sollte noch sechs Jahre dauern, bis die Staatsführung die Todesstrafe abschaffte.
Tagelang hatten Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit ihren Kollegen Teske bearbeitet. Am Ende stand für sie fest: Teske plant die Flucht in den Westen. Verurteilt wurde er wegen "Verbrechens der Spionage im besonders schweren Fall und vorbereiteter Fahnenflucht im schweren Fall". Einem Gnadengesuch wurde nicht stattgegeben.
Nach Recherchen von Falco Werkentin teilten ab der Gründung der DDR 1949 mindestens 164 Verurteilte Teskes Schicksal. Werkentin war mehr als 20 Jahre lang stellvertretender Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen in Berlin, für den Bundestag hat er ein Gutachten verfasst. In mühsamer Kleinarbeit dokumentierte er alle ausgesprochenen und vollzogenen Todesurteile. Nur in zwei Fällen fand Werkentin keinen Beweis, ob die Urteile auch vollstreckt wurden.
Während die Bundesrepublik Deutschland die Todesstrafe mit Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 abgeschafft hatte, galt in der DDR zunächst der Mordparagraf aus dem Strafgesetzbuch des Kaiserreiches von 1871 fort. Auf dessen Grundlage richtete die DDR-Staatsführung laut Werkentin insgesamt rund 50 Mörder hin. Hinzu kamen 65 Verbrecher aus der NS-Zeit, die meist nach aufwendigen Schauprozessen exekutiert wurden.
Darüber hinaus wurden etwa 50 Menschen wegen "politischer Delikte" wie Spionage oder Sabotage hingerichtet. Grundlage bildete Artikel 6 der DDR-Verfassung, der "Boykotthetze" verbot. Werkentin nennt den Artikel ein "reines Propagandagebilde, eine Pseudo-Rechtsgrundlage, die nicht einmal ein Strafmaß androhte". Für die DDR-Führung sei das jedoch kein Hinderungsgrund gewesen, drakonische Strafen mit dem Artikel zu begründen - bis hin zur Todesstrafe.
In der Anfangszeit waren für die Vollstreckung der Urteile noch die Länder zuständig. Ab 1952 wurden sie zentral am Münchner Platz in Dresden vollzogen. Ab 1960 diente dann ein streng abgetrennter Bereich der Anstalt in der Leipziger Alfred-Kästner-Straße als zentrale Hinrichtungsstätte der DDR.
Nach Recherchen des Bürgerkomitees Leipzig wurden allein dort 64 Menschen hingerichtet. Heute steht das Gebäude unter Denkmalschutz, zweimal im Jahr finden Führungen statt. Bis spätestens 2022 soll es laut Komitee zur dauerhaften Gedenkstätte werden.
Wie die Rechtsgrundlage für die Todesurteile änderte sich mit der Zeit auch die Methode ihrer Vollstreckung. Bis 1968 wurde den Verurteilten per Guillotine der Kopf abgeschnitten. Danach kam der "unerwartete Nahschuss" zum Einsatz, ausgeführt von Volkspolizisten.
Neben dem Henker waren in der Regel der Anstaltsleiter, der zuständige Staatsanwalt, ein Arzt, ein Stasi-Offizier und zwei Gehilfen bei Hinrichtungen dabei. Die Leichen der Getöteten wurden auf den Leipziger Südfriedhof gebracht und verbrannt; Todesort und -ursache auf dem Totenschein wurden gefälscht.
Gerade die späten Urteile, etwa gegen Stasi-Leute wie Werner Teske, waren nach heutigem Stand der Forschung häufig politisch motiviert und wurden streng geheimgehalten. Die Fälle liefen stets über den Schreibtisch der höchsten SED-Funktionäre im Politbüro, sagt Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin. "Faktisch lag die Entscheidungsgewalt bei der Parteiführung", sagt der Forscher - ob über Urteile oder Gnadengesuche.
Dass die Todesstrafe letztlich abgeschafft wurde, lag nach Staadts Einschätzung am Druck von außen. Im September 1987 stand der erste Besuch von SED-Chef Erich Honecker in der Bundesrepublik an. Dass die Todesstrafe schon seit 1981 nicht mehr vollstreckt wurde, deutet laut Staadt schon darauf hin, dass der Staatsführung klar war, "dass das ein unglaublicher Imageschaden ist".
Und so ging es im Sommer 1987 ganz schnell: Honeckers Stellvertreter Egon Krenz übermittelte am 7. Juli den Beschluss zur Abschaffung an das Politbüro. Honecker unterschrieb zehn Tage später. Seit dem 17. Juli 1987 ist die Todesstrafe auf deutschem Boden Geschichte.