Eine Freundin erzählt mir von einer besonderen Entdeckung. Sie ist unterwegs, um eine Kinderärztin für ihren Sohn zu finden. Die Navigation leitet sie in eine Seitenstraße. Erst denkt sie, sie habe die falsche Adresse bei Google Maps eingegeben. Suchend blickt sie sich um. Hier soll eine Arztpraxis sein? Ratlos steht sie mit ihrem Fahrrad vor einer roten Backsteinfassade. Unverkennbar: Eine Kirche. Neugotischer Stil. Ein sakraler Bau inmitten von Wohnhäusern. Sie schließt ihr Fahrrad an und geht näher. Ein Schaukasten verrät, dass hier tatsächlich eine Kirchengemeinde beheimatet ist. Mit regelmäßigen Gottesdiensten, einer Suppenküche, einem Projektchor. Am Wochenende soll Erstkommunion gefeiert werden.
Doch meine Freundin ist eigentlich auf der Suche nach einer Praxis, wo sie ihr Kind zur U2 vorstellen kann. Sämtliche Arztpraxen haben ihr schon abgesagt. Die Wartezimmer sind voll. Scheinbar überall. Zum Glück hat sie einen Tipp bekommen. Hier soll es eine Ärztin geben, die noch Kapazitäten frei hat. Doch wo befindet sich der Eingang? Es dauert eine Weile, bis sie das kleine weiße Schild neben der Kirchentüre entdeckt. „Fachärztin für Kinderheilkunde“, steht dort. Kirche und Kinderarztpraxis teilen sich einen Eingang. Ihre Wände berühren sich. Heiliges und Heilendes liegen scheinbar nah beieinander. „Irgendwie hat mir das gleich ein gutes Gefühl gegeben“, erzählt mir meine Freundin später. Sie könne es nicht richtig beschreiben, aber ich glaube, ich weiß, was sie meint. Denn auch ich kenne solche Orte, an denen man das Gefühl hat, dass dort ein guter Geist herrscht. Vielleicht ein heiliger. Orte, an denen man sich gut aufgehoben weiß. Allen Sorgen zum Trotz. Orte, an denen sich Himmel und Erde scheinbar ein bisschen näher sind als anderswo.
Nachdem sie ihren Sohn in der Praxis angemeldet hat, geht meine Freundin noch in den Kirchenraum. Die Tür ist unverschlossen. Jemand spielt Orgel. Zwei Bauarbeiter reparieren etwas im hinteren Teil der Kirche. Meine Freundin zündet eine Kerze am Marienaltar an. Ihr Licht ist eines von vielen.