Über meinem Schreibtisch, immer gut in Sichtweite, hängt ein Schild. Darauf steht: „Nicht ärgern, nur wundern.“ Meine Schwestern haben es mir zu Weihnachten geschenkt. Wohl, weil sie fanden, dass ich mich zu oft geärgert hatte, im vergangenen Jahr. Zu oft waren Tränen geflossen, zu oft hatte ich kopfschüttelnd dagesessen, mit gerunzelter Stirn und einem Knoten im Herzen.
Es sind nur wenige Worte, da über meinem Schreibtisch. Aber sie verändern etwas.
Wenn ich eine Mail vom Paketdienst bekomme: „Leider haben wir sie nicht angetroffen. Ihr Paket liegt in einer Filiale zur Abholung bereit.“ – Dabei war ich die ganze Zeit zu Hause.
Wenn ich in Kommentarspalten unter Nachrichtenartikeln lese: „Warum kommen immer nur junge Männer nach Deutschland? Dreckiges Flüchtlingspack!“
Wenn ich anonyme Nachrichten von Lesern erhalte, in denen ich gefragt werde, was an mir bitteschön denn christlich sei?!
Dann fällt mein Blick auf dieses Schild: „Nicht ärgern, nur wundern.“ Und dann atme ich tief durch, schiebe den Ärger ein Stück beiseite, und wundere mich lieber. Das führt nicht dazu, dass ich für jeden und alles gleich Verständnis aufbringen kann, aber es nimmt mir auch nicht so viel Energie wie der Ärger. Mein Herz bleibt knotenfrei. Stattdessen ist da Platz für Fragen und für ehrliches Hinschauen. Was läuft hier schief? Woher kommt diese Ansicht? Wo liegt das eigentliche Problem?
Der Duden schlägt als eine Definition für „wundern“ folgendes vor: "über etwas nicht Erwartetes in Erstaunen geraten". Wie viel freundlicher, zugewandter, gnädiger das doch klingt als „ärgern“ – „aufgebracht sein“.
Diese Haltung ist eine Herzensübung. Und, wenn Sie mich fragen: Durchaus eine christliche.