emotional ansprechender Verkaufsmarkt mit Düdelisationshintergrund

emotional ansprechender Verkaufsmarkt mit Düdelisationshintergrund

Hartnäckig hält sich das Gerücht, in Deutschland würden reihenweise Weihnachtsmärkte in Wintermarkt umbenannt, um Nichtchristen nicht mit ihnen fremden Ritualen zu belästigen. Mal abgesehen davon, dass denen das meist ziemlich wurscht ist, wie das Ding heißt, solange es da Bratwürste, Schokofrüchte und vor allem Glühwein gibt: Das Ganze ist auch noch nicht mehr als ein Missverständnis; in ganz Berlin, wo die Sache angeblich stattfand, konnte die TAZ keinen einzigen umbenannten Weihnachtsmarkt ausfindig machen, wohl aber die Geschichte, wie es zu diesem Gerücht kam.

Einen aufrechten Pegida-Anhänger ficht so was natürlich nicht an. Stolz und empört wird demonstriert, wofür oder wogegen auch immer. Besonders ziehen wir unseren Hut vor der Glanzleistung einer Bürgerinitiative, die sich auf Facebook „Bürgerinitiative Gohlis sagt Nein“ nennt. Ja, wir wissen schon, wir müssen alle das Neinsagen üben. Unseren Kindern gegenüber, die werden sonst verzogen. Unseren Chefs gegenüber, die überhäufen uns sonst mit Arbeit. Unseren Freunden gegenüber, ach, nein, die meinen das anders? Zu Pegida scheinen sie jedenfalls nicht nein zu sagen, wohl aber zur gefühlten Überfremdung und zur offenbar auch nur gefühlten Umbenennung von Weihnachtsmärkten in Wintermarkt. Dazu veröffentlichten sie in ihrer Facebook-Gruppe dieses wunderbare Schildchen.

"Wir feiern Weihnachten seit Jahrtausenden"

Danke, liebe Bürgerinitiative! Endlich haben wir es schwarz auf weiß, oder besser gesagt: Bunt auf bunt. Weihnachten – das typisch germanische Urfest! Seit Jahrtausenden, schon vor der Christianisierung! Fängt ja auch mit W wie Wotan an. Übrigens gibt es hier auch die typisch deutschen Bratwürste, seit sie 1018 v. Chr. in Nürnberg von Albrecht Dürer erfunden wurden. Schon Homer im alten Griechenland lobte diese Bratwurst, im Mittelalter kam sie zu einer echten Blüte. Auch der Glühwein ist schon seit Tausenden von Jahren auf deutschen Weihnachtsmärkten präsent, genauer gesagt seit Winter 1956, als Rudolf Kunzmann in Augsburg zum ersten Mal Wein mit Gewürzen vermischte und das Ganze in Flaschen abfüllte. Anders ist es mit dem Döner, einer vermutlich deutschen Erfindung (Kadir Nurman 1972 in Berlin), die sich auf Weihnachtsmärkten niemals durchsetzen wird. NIEMALS! Wir sind schließlich das Volk! Ähm.

####LINKS####Nun gut, zurück zum jahrtausendealten Weihnachtsmarkt. Auch der Weihnachtsbaum, eine Erfindung des Mittelalters und etwa seit dem 18. Jahrhundert wirklich populär, steht dort natürlich an zentraler Stelle seit etwa 2000 vor Christus, immer schön neben der Krippe und dem Jesuskind, das wir selbstverständlich schon lange vor der Christianisierung kannten.

Nun mag der eine oder die andere einwenden: Es gab ja Vorläufer des Weihnachtsfestes. Sonnwendfeste. „Sol invictus“ und so weiter. Sicher gab es die. Doch warum sollen wir unsere Weihnachtsmärkte dann unbedingt Weihnachtsmarkt nennen? Wäre dann nicht Sonnwendmarkt, Wintermarkt oder ähnliches die viel treffendere Bezeichnung? Vielleicht einfach sogar „emotional ansprechender Verkaufsmarkt mit Düdelisationshintergrund“? Das wäre doch ehrlich. Ach, liebe (nein, nicht liebe, eigentlich ziemlich böse) Bürgerinitiative in Gohlis, an diesem Punkt – und vielen anderen – kommen wir nicht zusammen.

Bleibt noch die Stadt Worms zu erwähnen, die dieser Tage ein Krippenspiel am Weihnachtsmarkt verbot. In diesem Krippenspiel sollte durch Lesung der biblischen Geschichte sowie durch einen erfundenen Dialog auf das Schicksal von Flüchtlingen aufmerksam gemacht werden – schließlich waren auch Jesus, Maria und Josef Flüchtlinge in Ägypten. Aber nein, das könnte ja zu Irritationen führen. Ein Gericht befand, dass dieses Krippenspiel dem Recht auf ungestörten Weihnachtsmarktbesuch entgegensteht.

Zu schade, dass wir Kirchen nicht das Copyright auf den Begriff „Weihnachten“ haben. Der Stadt Worms – und wohl auch vielen anderen – sollten wir ihn entziehen. Wenn es wirklich nur noch um Verkauf, ein gutes Gefühl und Düdelü geht, dann sollten wir es auch so kennzeichnen. Vielleicht könnte man über das Einklagen einer „zugesicherten Eigenschaft“ da was drehen. Sollen unsere Kirchenjuristen mal ran.

Ich wünsche Ihnen noch viel Spaß auf Ihrem örtlichen emotional ansprechenden Verkaufsmarkt mit Düdelisationshintergrund. Trinken Sie nicht zu viel Glühwein. Und frohe Weihnachten allerseits. Damit Sie's nicht vergessen über der ganzen Düdelei: Gottes Sohn ist Mensch geworden. Als armes, kleines Kind kam Gott in unsere Welt und versöhnte uns mit sich selbst. Dieses größte aller Wunder feiern wir. Prost – es möge nützen.

 

weitere Blogs

G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?
Wenn man beim Krippenspiel improvisieren muss, kann man bisweilen mit ganz elementaren Fragen konfrontiert werden...