Jesus in Paris

Geistvoll in die Woche
Jesus in Paris
Die Olympischen Spiele waren mehr als Sport. Sie waren auch eine Zeit des Streits um große Kunst und den "rechten" Glauben. Das war amüsant, ist aber auch gefährlich

So ein Jammer. Die Olympischen Spiele sind vorbei. Was waren das für schöne und irre Momente. Der fünf Tausendstel-Sieg von Noah Lyles beim Hundertmeterlauf und das Gold der algerischen Boxerin Imane Khelif, die allen Anfeindungen trotzte. Das Refugee Olympic Team und die Aus-dem-Häuschen-Zuschauer:innen. Ich war begeistert. Nicht nur als Fan der Spiele, sondern auch als Kunstliebhaberin. Und als Fan von Jesus. 

Immer wieder denke ich an die geniale Eröffnungsfeier von Thomas Jolly zurück. Vielfalt, Freiheit, Gleichheit, Freude, alles kam vor. Doch manchem missfiel das. Zum Beispiel die vermeintlich Anlehnung an Leonardo da Vincis Gemälde "Das letzte Abendmahl", obwohl es um das Gelage des griechischen Gottes Dionysos von Jan van Bijlert ging. So oder so, dem Regisseur Thomas Jolly lag an einer "Botschaft der Liebe und der Inklusion".

Ich fand es amüsant, wie viele sich über die Szene ärgerten. Und wie wenig sie von Jesus verstehen, ist doch an seinem Tisch Platz für jede und jeden. Das postete ich auf Threads und Instagram, zusammen mit den Fahnen der queeren Community. 

Der Shitstorm ließ nicht lange auf sich warten. Maria 1.0 war außer sich: "Wir finden es furchtbar, wie sogar diejenigen, die sich als Christen bezeichnen, die Verhöhnung und Lächerlichmachung ihrer eigenen Religion auch noch beklatschen. (…) Aber dann auch noch behaupten, die Kritiker würden nichts von Jesus verstehen, schlägt dem Fass nur noch mehr den Boden aus." – Hoppala! Ein anderer fühlte sich berufen, für mich zu beten: "Ihr stellt Jesus dar, als würde Gott gutheißen, was ihr auslebt. Bilde dich, Frau, ich bete für dich." – Merci! Eine dritte meinte: "Amüsieren Sie sich nur. Aber Ihr Glaube ist dann für mich nichtig und respektlos." – Das ist mir herzlich einerlei.

Aus der ganzen Welt kamen Reaktionen auf das queere Nicht-Abendmahl, erwartbar allesamt. Sie kamen von rechtsradikalen Medien, ebensolchen Politiker:innen, und natürlich aus der Kirche. Elon Musk eröffnete den Reigen, gefolgt von Donald Trump Jr.; die Sprecherin des russischen Außenministeriums legte nach, genauso wie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán und die Europa-Abgeordnete und Le-Pen-Nichte Marion Maréchal. Dann folgte der Vatikan mit einer "offiziellen Erklärung".

Aus Deutschland meldete sich Bischof Oster zu Wort. Großes Drama. „Unser christliches Menschenbild (steht) auf dem Spiel“, schrieb er an seine "Lieben". (Nun, meines nicht.) Bayerns Innenminister Hermann sieht sogar "den inneren Frieden in unserem Land" in Gefahr. "Wie ungeheuer sensibel reagieren diese Leute, wenn jemand ihre vermeintlich geschlechtergerechte Sprache infrage stellt oder die zahlreichen beliebigen geschlechtlichen Orientierungen nicht sofort versteht," während die Darbietung "ein extrem schlimmes Beispiel für mangelnden Respekt vor der religiösen Überzeugung anderer" sei. Mit "diese(n) Leute(n)" meint der CSU-Mann "die sogenannte queere Community". – Meine Güte!

Doch Paris war nicht respektlos. Die Szene zeigte vielmehr, wie sehr sich Kirchenvertreter und Politiker:innen aufregen, wenn es darauf ankommt. Wie sie sich aufregen wollen, um ihre queerfeindlichen Zielen durchzusetzen. Wie sie sich zu Moralaposteln stilisieren, die ganz bewusst die Augen vor einer Welt verschließen, die divers und bunt ist. Mit Dragqueens, Transsexuellen und unterschiedlichen Lebensformen. 

Die Empörten legen Wert darauf, "Christen" zu sein. Gleichzeitig entrüsten sie sich über "ihren" Jesus, der Menschen, die sie ausgrenzen, zu sich kommen lässt. Mit christlichen Werten hat das nichts zu tun. Dafür umso mehr mit Macht. Das ist gefährlich, weil es rechten und rechtsradialen Kräften in die Hände spielt. In der Kirche und in der Politik. Es ist gefährlich, weil es Hass schürt, ja geradezu „legitimiert“. Mit verheerenden Folgen: DJane Barbara Butch wird seither mit dem Tod bedroht, Thomas Jolly ebenfalls. Jetzt ermittelt die Pariser Staatsanwaltschaft. 

Vielleicht sollten sich die erhitzten Gemüter einmal überlegen, wie Jesus auf die Inszenierung reagiert hätte. Ich bin sicher, er hätte seine helle Freude gehabt, ob nun Dionysos gemeint war oder er. Wegen der Gastfreundschaft und der Vielfalt, der Gemeinschaft und der Begeisterung. Und den ach so bibelfesten Kritiker:innen empfehle ich, einfach mal die Bibel zu lesen. Denn da steht, warum Jesus uns alle einlädt: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“ (Gal 3,28) Er aß ja sogar mit Sünder:innen.

Das ist kein (Oster-)Witz, Gott bewahre. Das ist wahr.

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