Jonathans Freiwilligendienst in der Südsee

Jonathan Renz vor einer Tafel
Privat
Jonathan Renz unterrichtet als Freiwilliger in Kiribati – eine Erfahrung, die seinen Blick auf die Welt verändert hat.
Blick über den Tellerrand
Jonathans Freiwilligendienst in der Südsee
Ein Jahr auf einem entlegenen Südseeatoll – für Jonathan Renz wurde dieser Traum zur Realität. In Kiribati unterrichtet er Englisch, erlebt tiefen Glauben und spürt hautnah die Auswirkungen des Klimawandels. Wie ihn diese Erfahrung verändert, erzählt er im Interview.

Jonathan Renz, 18 Jahre alt, macht nach seinem Abitur in Düsseldorf derzeit einen Entwicklungspolitischen Freiwilligendienst in Kiribati, einem Land in Ozeanien. Organisator des Freiwilligendienstes ist das Ökumenewerk der Nordkirche. Katrin von Bechtolsheim führte mit Jonathan via Voicemails auf WhatsApp ein Interview und war begeistert von seinem Enthusiasmus.

evangelisch.de: Was hat dich dazu bewegt, diesen Freiwilligendienst zu machen?

Jonathan: Ich hatte nach der Schule keinen so richtigen Plan. Dachte, vielleicht ist es generell ganz gut, ein Jahr Pause zu machen und etwas von der Welt zu sehen. Ich bin zu einem Beratungsgespräch meiner Schule gegangen und die haben mir eine Website von Weltwärts gezeigt. Das ist ein Programm der Bundesregierung, mit dem ich jetzt auch hier bin. Da konnte man nach Kontinenten filtern, und ich habe aus Spaß Ozeanien eingegeben. Ich weiß auch nicht, warum. Da gab es nicht sonderlich viele Angebote, nur zwei von derselben Organisation, und am Ende ist es dann tatsächlich Kiribati geworden.

War Kiribati eine völlig neue Welt für dich oder hattest du irgendeine Idee?

Jonathan: Ich hatte vielleicht schon mal den Namen vorher gehört, das war es dann aber auch. Ich habe mich natürlich vorbereitet und hatte dann schon eine Vorstellung im Kopf, wie das hier so werden könnte. Aber selbst diese Vorstellung hat sich als komplett falsch herausgestellt. Völlig neue Welt passt perfekt.

Was musstest du im Vorfeld alles organisieren, um deinen Freiwilligendienst auf einem Südseeatoll anzutreten?

Jonathan: Das wichtigste war das Visum. Da wurden wir aber von unserer Organisation sehr gut an die Hand genommen. Generell haben die uns sehr gut geholfen. Die haben uns viel abgenommen, zum Beispiel wurden die Flugtickets von ihnen gebucht, wir haben eine Krankenversicherung bekommen. Es gab ein Vorbereitungsseminar, wo wir mental und für die praktischen Dinge des Lebens vorbereitet wurden. An mir blieb hängen, zu schauen welche Impfungen noch fehlen und mich noch mal untersuchen zu lassen, weil ich ja ein Jahr nicht mehr guten Zugang zu Ärzten vor mir hatte. Es war schon etwas herausfordernd, mir zu überlegen: Was brauche ich eigentlich alles für ein Jahr in der Südsee? Aber das ging dann auch.

Was war deine erste Reaktion und Handlung, als du in Kiribati angekommen bist?

Jonathan: Ich war sehr positiv überrascht, euphorisch würde ich sagen. Ich war auch einfach froh, nach dem langen Flug endlich da zu sein. Ich habe mich ja so lange darauf vorbereitet. Ich war begeistert von den Palmen und dem Meer. Und es war auch sehr schön, von so netten Leuten abgeholt zu werden. Wir sind direkt in ein gutes Restaurant gegangen, das war einfach ein netter Anfang. Das einzig Blöde war, dass es wahnsinnig heiß war. Man ist ja sehr nah am Äquator. Das war ein kleiner Stimmungsdämpfer.

Wie sieht dein Alltag aus und welche Aufgaben hast du?

Jonathan: Ich bin Englischlehrer an einer weiterführenden Schule für die siebte bis zehnte Klasse, das wäre die Entsprechung in Deutschland, und arbeite von montags bis freitags. Morgens und mittags unterrichte ich, dann gehe ich nach Hause, koche und mache Haushaltsaufgaben. Am Wochenende trifft man sich dann mit Leuten, die man von hier kennt, es gibt auch relativ viele internationale Freiwillige, mit denen man etwas machen kann. Was noch anders ist als in Deutschland, ist, dass ich dreimal in der Woche in die Kirche gehe. In Deutschland gehe ich, wenn überhaupt, einmal in der Woche in die Kirche. Das ist was Besonderes, würde ich sagen.

"Alle sitzen in einem Viereck um die Säulen, und man darf auf gar keinen Fall durch die Mitte laufen. Warum das so ist, weiß ich auch nicht"

Gibt es etwas, das dich an der Lebensweise der Menschen dort besonders fasziniert?

Jonathan: Man sagt hier, Kiribati ist das Land des Meeres. Das finde ich faszinierend, diese besondere Verbundenheit der Menschen mit dem Meer. Es gibt ganz viele Leute, die Fischer sind, und auch die, die es nicht sind, haben ein Boot und fahren raus zum Angeln, denn Fisch ist das Hauptnahrungsmittel. Das ist schon faszinierend. Leider sind die Leute aber auch sehr abhängig vom Meer. Gäbe es keine Fischer mehr, wäre das echt problematisch. 

Auch sind die Leute hier viel entspannter, gelassener und nehmen das Leben ruhiger als das in Deutschland manchmal der Fall ist. Das finde ich sehr angenehm.

Klassenfoto am Strand: Jonathan mit seinen Schülern.

Welche kulturellen Unterschiede sind dir besonders aufgefallen? Gibt es Dinge, die dich überrascht oder vielleicht sogar herausgefordert haben?

Jonathan: Es gibt halt ganz viele andere Regeln. Man darf zum Beispiel nicht durch einen Kreis laufen. Man sollte immer die Schuhe ausziehen, bevor man in das Haus geht. Es gibt hier zum Beispiel auch die heiligen Häuser, die Häuser für Feste, die häufig auch als Kirche genutzt werden. Das sind die Maneaba. Da darf man zum Beispiel auch nicht durch die Mitte laufen. Alle sitzen in einem Viereck um die Säulen. Warum das so ist, weiß ich auch nicht. Die Feste, zum Beispiel Neujahr, werden hier größer gefeiert als das in Deutschland der Fall ist. Neujahr wurde eine ganze Woche lang gefeiert.

Was auch ein bisschen lustig am Anfang war, manchmal auch merkwürdig: Es läuft viel über Körpersprache. Wenn man zum Beispiel die Augenbrauen hochzieht, heißt es "Ja". Das war am Anfang merkwürdig, denn in Deutschland ist das ja eher eine bedrohliche Geste. Am Anfang habe ich mich gefragt: Warum bedrohen mich jetzt meine Schüler? Das war lustig.

Kiribati ist auch einfach ein sehr christliches Land. Man ist hier deutlich konservativer als in Deutschland. Kartenspiele am Sonntag sind zum Beispiel verboten. ich glaube nicht, dass selbst strenge Christen in Deutschland so denken würden.

Wie bist du von den Einheimischen aufgenommen worden. Gibt es Momente der Gastfreundschaft, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind?

Jonathan: Die Gastfreundschaft hier ist ein sehr hohes Gut, das merkt man absolut. Man wird schon sehr gut aufgenommen, das ist wirklich cool. Es gibt ganz viele besondere Momente, die ich erlebt habe. Zum Beispiel bekommt man immer Geschenke, wenn man jemanden besucht. Man trägt Röcke hier, die heißen Lava Lava, die kriegt man dann geschenkt und auch Palmenwedel, gewebte Fächer. Wir hatten eine Feier, da wurde uns gesagt: Für die Zeit, die ihr jetzt hier seid, sind wir eure Familie. Das war für mich wirklich der schönste Moment der Gastfreundschaft.

"Diesen Überkonsum brauche ich nicht mehr, das hat sich glaube ich auch sehr verändert"

Welche Sprache spricht man in Kiribati und wie gut kannst du dich verständigen?

Jonathan: Man spricht I-Kiribati oder Gilbertesisch und ich glaube, es gibt nur zwölf Buchstaben, wenn ich nicht falsch liege. Das ist eine besondere Sprache und es gibt besondere Regeln. Man spricht den Namen Kiribati zum Beispiel als Kiribäs aus, das ti wird zu s. Ich bin leider nicht so gut in I-Kiribati. Da habe ich noch Arbeit vor mir. Bis jetzt kann ich nur die Basics.

Hat sich deine Sicht auf die Welt und auf bestimmte Themen wie deinen Glauben verändert?

Jonathan: Auf jeden Fall. Ich bin in meinem Glauben stärker geworden, weil ich mich damit viel mehr auseinandersetze als ich das in Deutschland tue. Auch meine Konsumgewohnheiten haben sich verändert: dass man nicht mehr das neuste iPhone oder die trendigsten Klamotten braucht. Diesen Überkonsum brauche ich nicht mehr.

"Aber die schlimmsten Auswirkungen stehen uns ja leider noch bevor. Kiribati soll ja ab 2070 nicht mehr bewohnbar sein. das ist eine ziemlich beunruhigende Aussicht"

Gibt es Gewohnheiten und Werte, die du mit nach Deutschland nehmen möchtest?

Jonathan: Auf jeden Fall. Eine Gewohnheit, die ich auf jeden Fall mitnehmen möchte, ist mehr in Gottesdienste zu gehen. Ich möchte auch die Lebenseinstellung der Menschen mitnehmen: entspannter zu sein und gelassener zu sein, sich nicht stressen zu lassen. Solche Dinge sind super. Stressfreier zu leben, das ist eine gute Sache, die man mitnehmen kann.

Was hast du über dich selbst gelernt, seit du dort bist?

Jonathan: Das ist eine ziemlich schwierige Frage. Generell ist mir klar geworden, dass ich in Deutschland zu gestresst bin und dass es schöner ist, das Leben entspannter zu leben. Das wäre glaube ich so ein Ding, dass ich hier über mich selbst gelernt habe.

Kiribati ist stark vom Klimawandel betroffen. Hast du vor Ort Auswirkungen vom Klimawandel gespürt oder mitbekommen?

Jonathan: Ja, das habe ich. Früher war die Regenzeit viel länger und viel stärker. Die Regenzeit, die ich jetzt mitbekommen habe, würde ich gar nicht als solche bezeichnen. Es hat vielleicht ein bisschen mehr geregnet, aber ich hätte mir das völlig anders vorgestellt. Sie ist also schwächer geworden, scheinbar durch den Klimawandel. Aber die schlimmsten Auswirkungen stehen uns ja leider noch bevor. Kiribati soll ja ab 2070 nicht mehr bewohnbar sein. Das ist eine ziemlich beunruhigende Aussicht.

Wie gehen die Menschen mit dem steigenden Meeresspiegel und anderen Umweltveränderungen um?

Jonathan: Eine Sache, die die Menschen hier tun ist es, Mangroven zu pflanzen. Vor allem am Strand, damit der Sand nicht weggewaschen wird. Eine andere Sache ist, das Mauern gebaut werden. Wenn man ein Haus direkt am Meer hat, dann baut man eine Sea Wall (Meer-Wand). Die kann den Prozess nicht aufhalten, aber verlangsamen. Die Regierung von Kiribati hat auch Land gekauft in Rabi, einer Insel in Fiji.

Aber das ist eigentlich nicht so ein großes Thema hier. Vielleicht wird das auch einfach nicht mit uns besprochen. Ich wüsste auch nicht, wie ich damit umgehen sollte, wenn mir jemand sagen würde, in 50 Jahren ist Düsseldorf unbewohnbar. keine Ahnung.

Glaubst du, dass dieses Jahr deine Zukunft beeinflussen wird?

Jonathan: Das kann ich mir vorstellen. Es verändert mich auf jeden Fall als Mensch. Diese Veränderung wird sicher auch einen Einfluss auf meine Zukunftspläne haben.

Würdest du deinen Freunden ein Freiwilligenjahr empfehlen, vielleicht sogar in Kiribas?

Jonathan: Ja, ich denke, das würde ich. Nicht jedem. Es ist natürlich eine Herausforderung, ein Jahr weg von Zuhause zu sein, weg von der Familie und den Freunden, ganz andere Lebensstandards zu haben, ganz andere Naturgegebenheiten, ganz andere Sprache, ganz andere Kultur. Aber für mich kann ich sagen, dass ich sehr froh bin, das gemacht zu haben. Das ist eine sehr wertvolle Erfahrung. Ich denke, ich würde es wieder machen, deswegen kann ich es auch empfehlen.

Wenn du den Menschen in Deutschland eine Sache über Kiribati mitgeben könntest, was wäre das?

Stress ist für viele Menschen in Deutschland schon ein Problem. Ist leichter gesagt als getan, aber zu versuchen, stressfreier zu leben, das ist eine Sache, die die Menschen hier sehr gut hingekommen.

Was ist das erste, das du tun wirst, wenn du zurück nach Deutschland kommst?

Jonathan: Erst will ich meine Freunde und meine Familie sehen. Dann ganz viele Sachen essen, die es hier nicht gibt. Döner zum Beispiel oder Pizza.

Weitere Infos auf unserer Partnerseite "Ein Jahr Freiwillig" zu Einsatzstellen in Kiribati, gibt es hier.

Jonathans Freiwilligendienst in Kiribati ist ein Angebot des Ökumenewerks der Nordkirche. Einen Überblick über die Einsatzstellen und Projekte des Ökumenewerks und von weiteren evangelischen Anbietern von Freiwilligendiensten in aller Welt bietet ein-jahr-freiwillig.de.