True Colours …

True Colours …
Auf der Suche nach Frieden in Zeiten des Krieges. Und nach Gott in der Zeit der Fassungslosigkeit.

Vor etwa zwei Wochen hinterließ der Pianist Igor Levit eine kleine Notiz in seiner Story auf Instagram: Es ist am Ende wie immer. True colours shining. Nicht erst seit dem 7. Oktober. Freundschaften, Allianzen und Verbindungen brechen und enden. - Zum Glück entstehen neue. - Dass Judenhass der Grund für diese Brüche ist, macht zugegeben sehr traurig. Aber sei's drum.

Ich habe gleich einen Screenshot gemacht. Denn seine Worte berührten mich tief. Und bewegen mich seither. Immer denke ich daran, wenn ich die Beethoven-Sonaten höre, die Levit schön wie niemand sonst eingespielt hat. Und die höre ich oft.

Dabei kenne ich seinen Schmerz, wenn auch natürlich nicht in dem Maße, wie er ihn aushalten muss, da ich keine Jüdin bin. Aber auch ich habe erfahren, dass Freundschaften „brechen und enden“. Nicht infolge von Judenhass, dem bin ich Gottlob nicht ausgesetzt. Aber infolge politischen Streits. Über Nazi-Witze und Antisemitismus. Das war bitter und kennt kein Zurück. – Aber sei’s drum?

Zum Glück sind auch bei mir neue „Freundschaften, Allianzen und Verbindungen“ entstanden. Wie bei Igor Levit. True colours wunderbare.

Levits Zeilen zeigen, wie dünnhäutig er geworden ist seit dem brutalen Angriff der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung vor einem Monat. Seit Terroristen Kinder, Frauen und alte Menschen bestialisch ermordeten. Seit die Hamas dem Terror eine neue Dimension gaben, wie der israelische Autor Amir Teicher schreibt: „Terror in der aktualisierten Definition: eine brutale Orgie des Blutvergießens, die nicht nur Leben nimmt, sondern den existenziellen Glauben an die Grundlagen des Lebens selbst destabilisiert.“ Seit die Terroristen mehr als zweihundert Menschen in den Gazastreifen verschleppten und dort verstecken – als Geißeln. Und: Seit sich der Hass auf Israel und das jüdische Leben auch in Deutschland immer offener zeigt.

Um 240 Prozent (!) ist die Zahl der antisemitischen Vorfälle gestiegen, verglichen mit 2022. David-Sterne an Wohnhäusern. Abgerissene Israel-Fahnen. Ein Brandanschlag auf eine Synagoge in Berlin. Gewalt auf den Straßen. Selbst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, dem ZDF, können Leute wie Richard David Precht und Markus Lanz antisemitische Klischees bedienen, folgenlos seitens des Senders und ohne adäquate Entschuldigung der beiden Protagonisten. – Und das in einem Jahr, in dem sich die Reichspogromnacht vom 8./9. November 1938 zum 85. Mal jährt. Jene furchtbare Nacht, die den Beginn des größten Völkermords in der Geschichte markiert. „Es gibt sechs Millionen Gründe, warum Juden in Deutschland keinen Anlass haben sollten, sich zu verstecken, warum sie nie wieder Angst vor Übergriffen auf der Straße oder in ihrer Wohnung haben sollten“, schrieb Theresa Weiß in der FAZ. Treffender kann man das nicht formulieren.

Dünnhäutiger bin auch ich geworden. Dünnhäutiger, aber auch radikaler. Das ist kein Widerspruch. Denn Radikalität schützt mich. Sie schützt mich vor Auseinandersetzungen wie die, die ich erlebte. Und stärkt mich, wenn ich sie wieder führen muss. Denn ich ertrage, ich dulde kein „Ja, aber Israel!“ und kein „Beide-Seiten-Argument“ mehr. Ich fasse es nicht, dass jemand wie Uno-Generalsekretär Guterres behauptet, „dass die Angriffe der Hamas nicht im luftleeren Raum stattfanden“. Als sei Israel schuld am Krieg und nicht die Hamas. Das sind keine Freiheitskämpfer. Es ist eine Terrorgruppe, deren erklärtes Ziel die Auslöschung des Staates Israels und der Tod aller Juden ist.

Immer wieder brauche ich Pausen, brauche ich Tankstellen für meine Seele. Denn die Konflikte enden nicht. Und die Suche nach Antworten hört nicht auf. Die Suche nach Frieden in den Zeiten des Krieges. Die Suche nach Liebe in den Zeiten des Hasses. Die Suche nach Gerechtigkeit in den Zeiten des Unrechts. Die Suche nach Versöhnung in den Zeiten des Streits. Die Suche nach Ausgleich in den Zeiten der Vorurteile. Die Suche nach Abstand in den Zeiten der Vorwürfe. Die Suche nach Kraft in den Zeiten der Schwäche. Die Suche nach Stille in den Zeiten der Unruhe.

Es ist die Suche nach Gott in der Zeit der Fassungslosigkeit.

Ich kenne Orte, an denen ich fündig werde, meine Seele zu stärken. Manche Kirche gehört dazu. Dort verweile ich oft allein. Ich höre Musik, die mich tröstet, die Beethoven-Sonaten gehören dazu. Und es gibt Menschen, die für mich da sind, unverbrüchlich. Die mich verstehen. Und meine Sehnsucht kennen. Es sind Wegbegleiter:innen, die ich nicht missen will.

Trauer bleibt Trauer, Verzweiflung bleibt Verzweiflung, Wut bleibt Wut, Verwirrung bleibt Verwirrung, Überforderung bleibt Überforderung. Aber all das gemeinsam mit anderen zu erleben, die Ähnliches fühlen, fängt mich auf und schenkt etwas Trost. Auch diese Sätze stammen von Igor Levit. Und auch das geht mir genauso.

True colours shining …

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