Bergpredigt verbietet Selbstverteidigung nicht

Bischof Franz-Josef Overbeck
Friedrich Stark
"Wladimir Putin darf den Verhandlungstisch auf keinen Fall mit der Erkenntnis verlassen, dass sich Angriffskriege lohnen", sagt Militärbischof Franz-Josef-Overbeck im Gespräch mit dem epd.
Militärbischof zu Europastrategie
Bergpredigt verbietet Selbstverteidigung nicht
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck ist Militärbischof der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Ein Gespräch des Evangelischen Pressedienstes über die Folgen der amerikanischen Europastrategie und die drohende Kriegsgefahr.

epd: Die US-amerikanische Regierung stellt die globale Nachkriegsordnung massiv infrage. Ist die geopolitische Ordnung, wie wir sie kennen, aus dem Gefüge?

Bischof Franz-Josef Overbeck: Viele transatlantische Gewissheiten, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bestehen, werden derzeit infrage gestellt. Damit müssen wir in Europa verantwortungsbewusst umgehen und jetzt sicherheitspolitisch die richtigen Weichen stellen. Das ist perspektivisch in jedem Fall ratsam, ganz unabhängig von möglichen geostrategischen Entscheidungen der derzeitigen US-Administration.

Große Investitionen in die sicherheitspolitische Widerstandsfähigkeit Deutschlands und Europas lassen sich angesichts der aktuellen Weltlage auch friedensethisch rechtfertigen, da sie dem Schutz vor Gewalt und der Bewahrung von Freiheit dienen. Die Anstrengungen und auch die Einschränkungen, die damit verbunden sind, können wir nur dann bewältigen, wenn wir gemeinsam darüber ins Gespräch kommen, was uns in Deutschland und in Europa verbindet und wofür wir einstehen. Ich möchte mit dazu ermutigen, dass wir uns immer wieder neu bewusstmachen, was uns unsere Freiheit und unsere Werte bedeuten.

Die Trump-Administration will mit Russland über einen möglichen Waffenstillstand in der Ukraine und eine politische Neuordnung verhandeln. Ist das zum jetzigen Zeitpunkt der richtige Schritt?

Overbeck: Solange die begründete Aussicht auf einen gerechten Frieden für die Ukraine besteht, sind Verhandlungen immer zu begrüßen. Aber was das konkret bedeutet, ist eine Frage, die nicht über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg entschieden werden darf. Wenn die Ausgangsbedingungen für Verhandlungen bereits durch das Recht des Stärkeren bestimmt sind, gibt es begründete Zweifel daran, dass ein gerechter Friede für die Ukraine erreicht werden kann.

Eine politische Neuordnung darf auf keinen Fall bedeuten, einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und die gewaltsame Verschiebung von Grenzen nachträglich zu legitimieren. Das wäre ein fatales Zeichen an alle Autokraten mit imperialistischen Großmachtfantasien.

Müssen wir in Europa Angst vor einem neuen Krieg haben, wenn Russland nun auf dem Verhandlungsweg die Ukraine, bzw. weite Teile, offeriert wird?

Overbeck: Wladimir Putin darf den Verhandlungstisch auf keinen Fall mit der Erkenntnis verlassen, dass sich Angriffskriege lohnen. Zwar wissen wir einfach nicht, ob Russland in naher oder ferner Zukunft ein NATO-Mitglied überfallen wird. Ein europäisches "Ja" zu einem Diktatfrieden würde Putin aber mit Sicherheit als Schwäche verstehen.

"Wer Völkerrecht bricht, andere Länder erobert, Menschen ermordet und ihre Würde mit Füßen tritt, wird dafür nicht mit einem guten Deal belohnt, sondern sollte sich auf entschlossenen Widerstand einstellen."

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Angriff auf die Ukraine nicht die erste militärische Aggression Putins ist. Deshalb muss unsere Botschaft an ihn so klar und unmissverständlich wie möglich bleiben: Wer Völkerrecht bricht, andere Länder erobert, Menschen ermordet und ihre Würde mit Füßen tritt, wird dafür nicht mit einem guten Deal belohnt, sondern sollte sich auf entschlossenen Widerstand einstellen.

Was halten Sie von den Plänen einer gemeinsamen europäischen Armee

Overbeck: Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis, das wir jetzt vor allem auf europäischer Seite stärken müssen, gerade wenn es um die Verteidigung des europäischen Raumes geht. Darauf muss jetzt vor allem der Fokus liegen, denn eine europäische Armee wäre automatisch mit einem derart langfristigen politischen Vorlauf verbunden, dass sie als Antwort auf die gegenwärtige sicherheitspolitische Lage ausscheidet.

Ich möchte hier nur einige der sehr komplexen Fragen anreißen, die vorher geklärt werden müssten: Umfasst sie nur Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder alle europäischen NATO-Mitglieder? Bestehen neben ihr weiterhin noch nationale Streitkräfte? Welche Aufgaben hat sie zu erfüllen? Wer entscheidet über ihren Einsatz? Wie wird sie bewaffnet und finanziert? All das zeigt: Es ist legitim, sich grundsätzlich darüber Gedanken zu machen, aber wir müssen uns darüber klar sein, dass wir nicht gerade von morgen oder übermorgen reden.

Welche Rolle könnte die Bundeswehr in einer möglichen gemeinsamen Mission übernehmen?

Overbeck: Die Frage, ob die Bundeswehr beispielsweise gemeinsam mit anderen NATO-Verbündeten oder im Rahmen eines UN-Mandats einen möglichen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine sichert und welche Rolle ihr dabei zukommen könnte, gehört auf die politische Ebene und müsste dort diskutiert und entschieden werden. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Aus friedensethischer Sicht könnte diese Entscheidungsfindung aber durch die Kriterien für einen gerechten Frieden unterstützt werden. Das würde beispielsweise ausschließen, dass die Bundeswehr einen Diktatfrieden Russlands in der Ukraine absichert und damit legitimiert.

Was hören Sie aus der Truppe über die derzeitige Situation?

Overbeck: Natürlich treibt viele Soldatinnen und Soldaten die seelisch belastende Frage um, welche Szenarien drohen, sollte infolge eines Angriffs auf ein NATO-Mitglied der Bündnisfall ausgerufen werden. Das höre ich in vielen Einzelgesprächen immer wieder, auch von den Familienangehörigen der Soldatinnen und Soldaten.

Als katholischer Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr sichere ich allen Soldatinnen und Soldaten zu: Die Militärseelsorge steht stets an Ihrer Seite! Die Seelsorgerinnen und Seelsorger bieten immer eine Möglichkeit zum Gespräch, in dem ausschließlich die Sorgen und Nöte der Person zählen, vertraulich und unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung.

Es ist doch paradox, dass man gegebenenfalls Gewalt anwenden muss, um etwa in der Ukraine das Gute zu erreichen. Was sagen Sie Menschen, die aus christlichen Motiven keine Aufrüstung und keine Waffenlieferungen wollen?

Overbeck: Es geht darum, zwischen radikalem Pazifismus und kriegsbegeistertem Militarismus zu zeigen, dass gerechtfertigte Standpunkte zwischen diesen Polen eingenommen werden können. Das Prinzip der Gewaltfreiheit kann mit dem Anspruch konkurrieren, Menschen davor zu schützen, massivem Unrecht und brutaler Gewalt wehrlos ausgeliefert zu sein.

"Die christliche Friedensethik erkennt durchaus das Recht auf Selbstverteidigung an." 

Die christliche Friedensethik erkennt durchaus das Recht auf Selbstverteidigung an. Solange die Gefahr von Krieg besteht und alle friedlichen Möglichkeiten erschöpft sind, wird das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht abgesprochen. Die Bergpredigt verbietet Selbstverteidigung nicht, genauso wenig wie legitime Selbstverteidigung die primäre Option für ein Ethos der Gewaltfreiheit infrage stellt.

Ist es für Sie dasselbe, wenn ein Christ den Krieg in der Ukraine und deren Unterstützung durch Waffen ablehnt, und wenn die AfD oder das BSW das tut?

Overbeck: Nein, denn die Motive spielen dabei eine wesentliche Rolle. Ich halte es zwar für falsch, aus der Bergpredigt im Falle eines Angriffskrieges für ein ganzes Land ein grundsätzliches Verteidigungsverbot abzuleiten, akzeptiere es aber natürlich, wenn ein Christ erstinstanzlich allein auf zivilen Widerstand und die Kraft der Versöhnung setzt und für diese Haltung wirbt.

An den politischen Rändern sieht das anders aus. Die oft unkritische Haltung gegenüber der russischen Regierung ist gut belegt, insbesondere von zentralen Akteuren dieser Parteien. Ich habe deshalb meine Zweifel daran, ob sie mit ihrem "Nein" zur Unterstützung der Ukraine wirklich einen gerechten Frieden im Sinn haben. Vor allem aber erkennen sie nicht, dass ein ungerechter Gewaltfrieden nicht dauerhaften Frieden, sondern weitere militärische Konflikte nach sich ziehen wird.